Der Spionagefall wurde aufgedeckt, eine Person festgenommen. Das Agenten-Protokoll.
Die Staatsanwaltschaft erhebt nun Anklage wegen Spionage gegen den Schnüffler, der bereits ein umfassendes Geständnis ablegte. Nähere Details zum Agenten gaben weder Innenminister Nehammer bekannt noch Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. So blieb das Geschlecht des vermeintlichen Spions ebenso unklar wie seine Identität.
Fest steht aber, das erfuhr ÖSTERREICH aus Ermittlerkreisen: Bei dem Spion handelt es sich um einen Austrotürken. Er war ursprünglich in der Türkei inhaftiert, wurde vom türkischen Geheimdienst verhört. Dabei soll die Zielperson umgedreht worden sein.
Um aus der Haft entlassen und wieder nach Österreich zu kommen, stimmte er zu, künftig für Erdogans Geheimdienst in Österreich zu spitzeln. Die Aufgaben: Daten über Gegner des türkischen Präsidenten in Österreich zu sammeln und nach Ankara zu schicken. Ebenso Fotos und Handyvideos von Anti-Erdogan-Demos sowie Treffen von kurdischen Aktivisten in Österreich.
Letztlich fiel die Person den österreichischen Sonderermittlern Ende Juni in Wien-Favoriten auf. Rund um das Ernst-Kirchweger-Haus war es damals zu viertägigen, schweren Unruhen gekommen.
Bei Demos in Wien wurden Erdogan-Gegner fotografiert
Zusammenstöße. Kurden, linke Aktivisten und offene PKK-Anhänger lieferten sich mit jungen, rechten türkischen Nationalisten heftige Straßenschlachten. Die türkischen Extremisten hatten die Teilnehmer einer kurdischen Frauen-Demonstrationen attackiert. Steine, Böller und Flaschen wurden geworfen.
Dabei sind die Behörden auf den Spion aufmerksam geworden: Er hatte mitgefilmt, Daten gesammelt, diese Informationen direkt nach Ankara weitergeleitet. Franz Ruf ist überzeugt, dass bei diesen Auseinandersetzungen in Favoriten der türkische Geheimdienst seine Finger im Spiel hatte.
Ministerin Raab: "Erdogans Arm reicht bis Wien"
Vorwürfe, wonach Erdogan-Spitzel seit Jahren Informationen in Österreich über türkische Zuwandererfamilien sammeln, gibt es schon lange. Mehrmals wurden in der Türkei verhaftete Austro-Türken vom Erdogan-Geheimdienst mit Fotos konfrontiert, die bei einer in Österreich stattgefundenen Demo gegen Erdogan aufgenommen wurden. Die Aufnahmen kamen von Erdogan-Spitzeln in ganz Österreich, werden via Botschaft weitergeleitet.
Für Integrationsministerin Susann Raab (ÖVP) eine beunruhigende Situation. „Österreich ist längst Zielland türkischer Spionage“, sagt sie. Laut Raab reiche der Arm des türkischen Präsident bis Wien, ja bis hinein nach Favoriten. Über Vereine und Moscheen werde Einfluss auf Menschen mit türkischen Wurzeln ausgeübt.
Die Türkei wolle dabei die Spaltung in der österreichischen Gesellschaft vorantreiben. Dieser Einfluss sei Gift für die Integration in Österreich, so Raab.
Innenminister Nehammer: "Nur Spitze des Eisbergs"
Österreichs Innenminister möchte das Problem der Erdogan-Spione internationalisieren. Deutschlands Seehofer wurde bereits informiert. Man müsse sich aber in ganz Europa gemeinsam gegen den Einfluss Ankaras und die Erdogan-Spione wehren.
Nehammer über den Spionagefall: „Die Ermittlungen haben zu einem für uns dramatischen Erkenntnisstand geführt.“
Nehammer: "Vom Geheimdienst angeworben"
Schattenmann. Laut Nehammer steht fest: „Die Person, die voll geständig ist, wurde vom türkischen Geheimdienst angeworben. Die Aufgabe war, Türken in Österreich oder Österreicher mit türkischem Migrationshintergrund auszuspionieren. Die Ergebnisse wurden schließlich an die türkischen Sicherheitsbehörden weitergemeldet.“
35 Österreicher wurden in der Türkei bisher verhaftet
Nehammer listet auch auf, weshalb die Spitzeltätigkeit der Erdogan-Spione in Österreich so dramatisch ist: „Allein von 2018 bis 2020 wurden 35 Österreicher bei der Einreise oder beim Türkeiurlaub verhaftet. Alle sollten vom Geheimdienst für Spionage angeworben werden.“
Nehammer hat an den türkischen Staatschef und seine Spitzel eine ganz klare Botschaft: „Türkische Spionage und Einflussnahme auf Freiheits- und Grundrechte haben in Österreich keinen Platz.“
K.Wendl