Der „Tatort“ ist fad dagegen: Wer überlebt im Kampf um die Führung im ORF?
Als wäre dieses Polit-Jahr nicht schon dramatisch genug: In den nächsten drei Wochen erwartet uns ein wahrer Thriller um die Wahl des nächsten ORF-Generaldirektors. Spannender als jeder Tatort – mit offenen Duellen, Heckenschützen, mit nur einem Überlebenden und am Schluss einigen Leichen.
Alexander Wrabetz ist der Titelverteidiger in diesem Rennen
Seit 15 Jahren ist Wrabetz ORF-Generaldirektor, überlebte in drei Amtsperioden sechs Regierungen – und steht nun vor der schwierigsten Wiederwahl gegen eine klare ÖVP-Mehrheit im Stiftungsrat. Weil die ÖVP den Sozialdemokraten ablösen will.
Wrabetz kämpft bei dieser vierten Wahl den Kampf seines Lebens. Theoretisch hat er bei einem Stimmen-Verhältnis von 20 : 15 für die ÖVP keine Chance, in der Praxis ist dem erfolgreichen ORF-Chef alles zuzutrauen: Er braucht für einen Sieg freilich alle Nicht-ÖVP-Stimmen (auch die FPÖ und die Grünen) sowie zumindest drei ÖVP-Stimmen (die zwei ÖVP-Betriebsräte und einen Bundesländer-Vertreter).
Die ÖVP hat lange, vielleicht zu lange gezögert, einen Gegenkandidaten zu nominieren. Im Frühjahr waren zunächst zwei ORF-interne „Bürgerliche“ die ÖVP-Favoriten: die ORF-1-Channel-Managerin Lisa Totzauer und der ORF-Vize-Finanzdirektor Roland Weißmann.
Kurz zögert mit Zustimmung
Die ÖVP-nahen Stiftungsräte – fast im Mafia-Jargon „Freundeskreis genannt – votierten im Juni in einem internen „Hearing“ einhellig für Weißmann. Damit war Lisa Totzauer out.
In einem zweiten ÖVP-Hearing am morgigen Montag sollte eine endgültige – „einhellige“ – Entscheidung für Weißmann fallen. Doch Sebastian Kurz zögerte mit seiner Zustimmung zu Weißmann. Er hat Bedenken, dass es bei einer klaren ÖVP-Wahl für Weißmann einen Aufstand der – mehrheitlich linken – ORF-Redakteure geben könnte. Er überlegte auch ein ÖVP-Ja zu Wrabetz, um das Risiko einer Niederlage zu vermeiden.
Überraschung
Mitten hinein in diesen „Nachdenk-Prozess“ des Kanzlers gab es eine Überraschung: Totzauer, die von den ÖVP-Stiftungsräten intern bereits „aussortierte“ zweite bürgerliche Kandidatin, gab plötzlich ihre Kandidatur bekannt. Die ÖVP-Spitze war fassungslos: „Diese Chuzpe musst du einmal haben, ohne jede Rückfrage gegen deine eigene Partei zu kandidieren“, so ein Türkiser.
Mittlerweile sind die türkisen Würfel aber gefallen: Sobald der Kanzler am Montag aus New York zurück ist, wird sich die ÖVP – prophezeien alle Insider – klar für Roland Weißmann als Kandidat aussprechen. Noch Ende dieser Woche, spätestens nächste, wird dann auch Weißmann seine Kandidatur abgeben.
Im Rennen um den ORF steigen damit drei Schwergewichte in den Ring
- Alexander Wrabetz (61), seit 15 Jahren General, wahrscheinlich derzeit der erfolgreichste Chef eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa, der den ORF mit Newsroom und ORF-Player in die digitale Ära führen will.
- Lisa Totzauer (50), ein ORF-Urgestein aus dem tiefschwarzen Landesstudio NÖ, dann engagierte Redakteurin und ZiB-Chefin, schließlich auf ÖVP-Drängen ORF-1-Channel-Managerin. Sie riskiert alles. Verliert sie, ist sie auch ihren Job als ORF-1-Chefin los.
- Roland Weißmann (53), ebenso im Landesstudio NÖ „sozialisiert“, dann bei Ö3 und schließlich als „Zwilling“ von Richard Grasl in der ORF-Finanzdirektion, deren höchst erfolgreiche Bilanz er als Vize-Finanzdirektor ebenso verantwortet wie den neu entstehenden ORF-Player.
Der Papierform nach steht es 20 : 15 : 0 für Weißmann im Rennen gegen Wrabetz und Totzauer. Auch deshalb, weil – wie in China – nicht geheim, sondern offen abgestimmt wird und sich wohl nur wenige ÖVP-Räte trauen werden gegen die Partei zu votieren.
Allerdings weiß niemand, wie viele Stimmen Totzauer gegen Weißmann aus dem ÖVP-„Freundeskreis“ holen kann. „Null“, sagen viele ÖVP-Räte, weil Totzauer ihrer Meinung nach als „Verräterin“ gilt. „Bis zu fünf“, tippen dagegen Insider und orakeln: „Vielleicht überzeugt sie ja auch noch FPÖ, Grüne oder Neos.“
Ein Kenner im ORF-Stiftungsrat rechnet mit einer Überraschung: „17 oder 18 Stimmen für Wrabetz, inklusive der zwei ÖVP-Betriebsräte, 14 für Weißmann, 3 bis 4 für Totzauer.“
Mit 18 Stimmen hätte Wrabetz schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit – und das Kurz-Team würde eine krachende peinliche Niederlage erleiden.
Es könnte freilich noch spannender werden: Wenn ORF-Online-Direktor Thomas Prantner auch noch seine – vorbereitete – Kandidatur abgibt und damit plötzlich die FPÖ-Stimmen und die eine oder andere bürgerliche erhält, dann weiß niemand mehr, wie dieses ORF-Rennen ausgeht ...