Als SPÖ-Chef Kern an die Novemberpogrome erinnerte, gab es nur vereinzelt Applaus aus dem FP-Klub.
Am heutigen Donnerstag jähren sich zum 79. Mal die Novemberpogrome von 1938 gegen die jüdische Bevölkerung. Die Parteien warnten aus diesem Anlass vor Rassismus und Antisemitismus. Auch in der konstituierenden Nationalratssitzung wurde der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltausbrüche gedacht.
Die Novemberpogrome seien ein "Ereignis, das die Bedeutung und den Wert unserer starken und stolzen Demokratie, in der wir heute leben, unterstreicht", sagte die scheidende Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) zu Beginn der Nationalratssitzung. "Es waren vom NS-Regime organisierte Gewaltmaßnahmen, die sich gezielt gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger gerichtet haben. Synagogen, Wohnungen und Geschäfte wurden verwüstet, tausende Menschen erfuhren unsägliches Leid, wurden ermordet, in den Suizid getrieben und in Konzentrationslager verschleppt", erinnerte Bures.
Alle applaudieren, nur nicht FPÖ
Auch Noch-Bundeskanzler und SPÖ-Klubchef Christian Kern ging in seiner Rede auf die Novemberpogrome ein, die "der erste Schritt zur Massenvernichtung" waren. Das Erinnern sei gerade heute ein Anliegen, denn "wie wir mit unserer Geschichte umgehen, bestimmt unseren Umgang mit der Zukunft". Es müsse Konsens darüber herrschen, dass "Zuspitzung zulasten anderer", Ausgrenzung, das "Suchen nach Sündenböcken", Rassismus und das "Appellieren an niedrige Instinkte" in der Politik und in der Gesellschaft keinen Platz haben dürfen, mahnte Kern. Seine Aussagen waren von Applaus fast aller Parlamentsklubs begleitet. Nur die FPÖ hielt sich kollektiv zurück. Auf TV-Bildern ist zu erkennen, dass sich die Freiheitlichen, darunter auch die Spitze mit Klubchef Heinz Christian Strache, Generalsekretär Herbert Kickl und der dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer dem Beifall entziehen. Nur einzelne FPÖ-Abgeordnete steigen verspätet und halbherzig in den Beifall mit ein.
Kurz mahnt zu Kampf gegen Antisemitismus
"Die Ereignisse der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gehören zu den beschämendsten unserer Geschichte", meinte ÖVP-Chef Sebastian Kurz in einer Stellungnahme. "Aus dem, was in dieser Zeit an Abscheulichkeiten geschah, erwächst die historische Verantwortung, sich unentwegt für die Sicherheit des jüdischen Lebens und für den Kampf gegen Antisemitismus einzusetzen." Der Außenminister und wohl künftige Bundeskanzler mahnte, "wachsam zu sein und den Anfängen zu wehren".
Strache in Aussendung: Antisemitismus hat keinen Platz in Österreich
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache betonte laut einer Aussendung ebenfalls, dass für Antisemitismus in Österreich "kein Platz" sei. Eine "derart unmenschliche Ideologie" dürfe "in unserer Gesellschaft nie wieder geduldet werden". Jedweder Form von Antisemitismus müsse entschieden entgegengetreten werden, "egal unter welchem ideologischen Deckmäntelchen" er daherkomme. Die ermordeten, vertriebenen und gedemütigten jüdischen Mitbürger seien eine stete Mahnung, ihr Andenken eine Verpflichtung, derartiges nie wieder zuzulassen. "Das muss unser aller Auftrag für die Zukunft sein", meinte Strache.
Auch Strolz sprach sich gegen Fremdenhass aus
Der heutige Tag müsse auch "ein Auftrag sein, uns entschlossen gegen jede Form von Rassismus, Fremdenhass und Ausgrenzung einzusetzen", erklärte NEOS-Klubobmann Matthias Strolz. "Am 9. November 1938 haben sich Österreicherinnen und Österreicher gegen ihre eigenen Nachbarn gewandt. Wir dürfen niemals vergessen, dass dies durch ein gesellschaftliches Klima der Intoleranz und des Rassismus ermöglicht wurde, und dass es gerade in schwierigen Zeiten allzu leicht ist, in alte Muster zu verfallen."
"Light of Hope"-Marsch
Die Israelitische Kultusgemeinde und die jüdische Jugend Wiens rufen für heute, Donnerstag, zum Gedenkmarsch "Light of Hope" auf. Start ist um 18.00 Uhr vor der Kultusgemeinde in der Seitenstettengasse, danach geht es zum Juridicum, wo erst heuer antisemitische WhatsApp-Postings von Studentenvertretern der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft für Entsetzen und Kritik gesorgt hatten. Die Schlusskundgebung findet vor dem Schoah-Mahnmal am Judenplatz statt, wo unter anderem der Dekan und der Rektor des Juridicums reden werden und gemeinsam mit Studierenden ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen wollen.
Novemberpogrome
In Österreich wurden in der Nacht auf den 10. November 1938 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Im gesamten "Deutschen Reich" wurden tausende Synagogen und Geschäfte niedergebrannt, 91 Personen getötet, 20.000 verhaftet. Heute oft immer noch mit dem verharmlosenden Nazi-Ausdruck "Reichskristallnacht" bezeichnet, bedeuteten die Pogrome für viele Historiker den Beginn der Schoah, der gezielten Auslöschung der jüdischen Bevölkerung.