Polit-Experte und Ex-News-Herausgeber Peter Pelinka über die Chancen der SPÖ bei der nächsten Wahl.
Wien. Geht es nach den derzeitigen Umfragen (siehe auch Seite 5 unseres heutigen Wahl-Extras), hat die SPÖ bei der Neuwahl im Herbst keine Chance auf den Sieg. Im Gegenteil: Sie muss offensichtlich sogar bangen, den zweiten Platz gegen die FPÖ zu verteidigen.
Doch bis zur Wahl sind es noch gut zehn Wochen – schafft SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner doch noch den Turnaround und ein achtbares Ergebnis, das ihrer Partei die Chance gibt, im Poker um die nächste Regierung ein gewichtiges Wort mitzusprechen?
Auf dieser Seite unseres Wahl-Extras werden Politik-Experten in den nächsten Wochen die Chancen der einzelnen Parteien bei dieser Wahl bewerten und ihre Stärken und Schwächen analysieren. Den Anfang macht der Journalist, Medientrainer und langjährige Kenner der SPÖ, Peter Pelinka, der sich kritisch mit der Ausgangslage der SPÖ auseinandersetzt.
Dr. Peter Pelinka ist Print- und TV-Journalist und Gesellschafter der Medientrainingsfirma intomedia.
Flapsige Pointe. Christian Kern wurde vor drei Wochen arg gescholten. Weil er ein interessantes Interview in der Tiroler Tageszeitung mit einem flapsigen Zitat versehen hat, das – natürlich – von der TT als Titel verwendet wurde: „Hoch gewinnen werden sie das nicht mehr“, meinte er auf die Frage, welche Chancen er der SPÖ im Wahlkampf zubillige.
Das war eine Anspielung auf ein legendäres Interview mit Toni Pfeffer beim Länderspiel Spanien – Österreich im März 1999. Da stand es 5:0 für die Gastgeber: „Hoch gewinnen wird ma nimma.“ Ein witzig gemeinter, aber als zynisch interpretierter Vergleich, der freilich einem schlecht anstand, der noch vor zehn Monaten selbst Parteichef war.
Kurz und seine Crew haben (fast) alles im Griff
Vorsprung nicht verspielbar. Dabei hatte Kern in der Sache recht. Die SPÖ wird die Wahl am 29. 9. natürlich nicht gewinnen, das weiß sie auch selbst. Die ÖVP mit ihrem Heilsbringer Sebastian Kurz liegt in Umfragen weit mehr als 10 Prozent voran, dieser Vorsprung ist nach Umfragen nicht einmal verspielbar, wenn ein Skandalvideo à la Ibiza auftauchen sollte. Das ist auch bei einem nicht vorstellbar, der in jungen Jahren mit einem Geilomobil wahlgekämpft hat.
Aus Tätern wurden Opfer. Und selbst wenn – sein Ex-Vize und dessen Partei demonstrieren, wie leicht es sein kann, aus Tätern Opfer zu machen in vergesslichen Wahlkampfzeiten. Nein, Kurz und seine Crew haben fast alles in Griff, daran können auch keine unkontrollierten Stadthallenauftritte bei einem Sektenprediger etwas ändern, auch keine Listen von Großspendern, die dazu beigetragen haben, dass im vergangenen Wahlkampf speziell bei den Türkisen der gesetzliche Kostenrahmen stark überschritten wurde. Und auch nicht die Tatsache, dass Kurz’ bisheriges Lieblingsthema Migration durch das Klimathema zumindest relativiert wurde.
Die SPÖ wird weiter mit Kanzler Kurz leben müssen
Platz 2 halten ist wichtig. Die SPÖ wird als auch die nächsten fünf (?) Jahre mit einem Kanzler Kurz leben müssen. In den verbleibenden zehn Wahlkampfwochen geht es für sie vor allem darum, den Abstand zur ÖVP zu verkleinern. Etwa auf zehn Prozent – das wäre schon ein großer Erfolg, ebenso das Erreichen der Marke Kerns von knapp 27 Prozent. Vor allem geht es auch darum, die Ibiza-Partei FPÖ sicher auf Platz 3 zu halten. Leicht wird das nicht: Die wieder erstarkten Grünen werden etliche Wähler zurückgewinnen, die 2017 angesichts des Duells Kern-Kurz ihr Kreuzerl bei der SPÖ gemacht haben.
Parteiinterne Kritiker überzeugen. Und Pamela Rendi-Wagner wird noch stärker die parteiinternen Skeptiker überzeugen müssen, die bei ihr mangelnde politische Erfahrung bekritteln. So wie etwa rund um den Misstrauensantrag gegen Kurz & Co.: man hätte zuvor dem Kanzler einen Forderungskatalog übereichen müssen, dann erst – zack-zack-zack – bei dessen wahrscheinlicher Ablehnung die seidene parlamentarische Schnur. Damit hätte man die türkise Propaganda einer rot-blauen Koalition unterlaufen und die tatsächlich schiefe Optik, Kurz werde ausgerechnet dann gestürzt, nachdem er Kickl zum Abtritt aufgefordert hatte.
Pamela Rendi-Wagner hat aufholen können
Persönlich gepunktet. Immerhin: Pamela Rendi-Wagner hat in den vergangenen Wochen medial aufgeholt, quantitativ wie qualitativ. Sie punktet dann, wenn sie im persönlichen Gespräch ihre fachliche Erfahrung als Medizinerin und ihre sympathische Natürlichkeit ausspielen kann.
Echte Newcomerin. So kann ihre relative Nichterfahrung in der „hohen“ Politik zum Vorteil werden: Sie ist wirklich eine Newcomerin, der Berufspolitiker Sebastian Kurz dagegen seit Jahren ein führendes Mitglied der politischen Klasse.