Interview

Im Video: "Politik-Einstieg war ein Fehler"

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Nationalratskandidat Hans-Peter Martin würde heute nicht mehr in die Politik einsteigen, erklärt er im großen ÖSTERREICH-Interview zur Nationalratswahl.

Starjournalist Helmut Brandstätter (51) wird für ÖSTERREICH die Spitzenkandidaten der sechs chancenreichsten Parteien interviewen. Den Auftakt macht H.P. Martin, am Dienstag folgt Heinz-Christian Strache (FP). Danach trifft Brandstätter BZÖ-Chef Peter Westenthaler und den Grünen Alexander Van der Bellen. Den Abschluss der Serie bilden die Kanzlerkandidaten Alfred Gusenbauer und Wolfgang Schüssel. Der Kommunikationsberater Brandstätter war langjähriger ORF-Journalist und Chef von NTV.

ÖSTERREICH: Sie haben einen furiosen Start hingelegt, liegen jetzt aber in Umfragen unter der Vier-Prozent-Hürde. Was ist schief gelaufen?
HANS-PETER MARTIN: Gar nichts. Es besteht nur ein Riesen-Unterschied zwischen veröffentlichter Meinung und dem, wie die Stimmung für uns tatsächlich ist. Ich höre von internen Umfragen der Großparteien, nach denen ich klar in den Nationalrat komme.

ÖSTERREICH: Wer wird die Wahl gewinnen, ihr Tipp?
MARTIN: Das ist leicht, Kanzler Wolfgang Schüssel!

ÖSTERREICH: Warum sind sie da so sicher?
MARTIN: Ich denke, dass er sehr gewachsen ist. Zudem haben die Österreicher immer wieder den Hang, sich an einer starken Führungsfigur zu orientieren – und die stellt Schüssel viel besser dar als Alfred Gusenbauer.

ÖSTERREICH: Schüssel wurde für seine EU-Präsidentschaft eher positiv bewertet. Hat ihm das genützt?
MARTIN: Schüssel hat die Präsidentschaft vor allem verwaltet. Sie war ein Bewerbungsschreiben für das, was er will. Schüssel will nach Brüssel. Er will spätestens ab 2009 Kommissionschef werden und würde so seine Wähler im Stich lassen.

ÖSTERREICH: Sie sind im Wahlkampf viel unterwegs. Wer sind wirklich ihre Wähler
MARTIN: Jene, die die Schnauze voll haben. Jene 42 Prozent der Österreicher, die mit den herrschenden Parteien unzufrieden sind.

ÖSTERREICH: 42 Prozent haben die Schnauze voll und nur ganz wenige wählen Martin?
MARTIN: Die Hälfte davon sind ohnehin Nichtwähler. Also geht es um 15 bis 20 Wählerprozente und hier bin ich optimistisch. Das ist der Ziviltechniker, der frustriert ist, dass durch die neuen EU-Regulierungen sein Geschäft keinen Sinn mehr macht. Das sind Leute, die einen freien Beruf ausüben und sich mit vielen Beamten plagen müssen. Zudem punkten wir bei den Nachdenklicheren, die sehen, dass es mich als Homo Politicus schon über 25 Jahre gibt, die meine Bücher zu Pharma-Kritik und Globalisierungsfalle schätzen.

ÖSTERREICH: Haben Sie eigentlich Prominente um eine Kandidatur gebeten?
MARTIN: Es haben sich sogar einige angeboten, bekannt aus Funk und Fernsehen. Ich habe es abgelehnt.

ÖSTERREICH: Warum denn?
MARTIN: Weil unser Projekt eine freie Bürgerliste ist. Sehr oft gibt es bei Prominenten, gerade in einem so kleinen Land wie Österreich, bestimmte Verhaberungen.

ÖSTERREICH: Wobei Prominente lästiger wären und Sie übergangen werden könnten.MARTIN: Völlig falscher Eindruck. Die Liste ist nach mir benannt, weil die Gruppe gesagt hat, wir haben nur eine Chance mit Dir vorne dran. Aber vom Konzept her darf eine Bürgerliste nicht von einer Person abhängen.

ÖSTERREICH: Also muss es auch eine interne Demokratie geben. Jetzt haben Sie erklärt, Sie werden Klubobmann. Normalerweise wird der erst vom Nationalratsklub gewählt. Ist das nicht doch eine autoritäre Gruppe?
MARTIN: Nach der Wahl werde ich mich einer Wahl stellen, dann werden wir uns professionelle Strukturen geben, die aber eins nicht werden dürfen: herkömmliche Parteistrukturen, wo sich alles in Sitzungsmarathons verläuft.

ÖSTERREICH: Ein Apparat hat auch den Vorteil, dass es demokratisch zugeht.
MARTIN: Wichtig ist nur, dass der Apparat nicht ausufert, so dass der berühmte Kofferträger sagt, ich habe so lange den Koffer getragen, jetzt will ich auch was werden.

ÖSTERREICH: In punkto Klub-obmann müssen Sie ja ein Trauma haben. Sie waren 1999 EU-Spitzenkandidat der SPÖ und dann wurde Ihnen der Listenzweite Hannes Swoboda vorgezogen.
MARTIN (lacht): Diese Dinge sind nicht vergleichbar.

ÖSTERREICH: Sie sind ja relativ wohlhabend, prangern aber Politiker-Privilegien an. Warum darf man dort nicht ordentlich Geld verdienen?
MARTIN: Absolut, nur ist ein Abgeordneten-Nettogehalt von bis zu 5000 Euro ja nicht nix. Entscheidend ist die Transparenz der Bezüge.

ÖSTERREICH: Es sagen alle, die mit Ihnen gearbeitet haben, es ist so mühsam mit Martin, er ist kein Teamplayer. Warum?
MARTIN: Das ist nicht wahr. Zwischen dem, was in Wien an Gerüchten kursiert und der internationalen Wirklichkeit klafft eine riesige Distanz.

ÖSTERREICH: Ihre Ziele sind Bürokratieabbau, Volksabstimmungen, mehr Transparenz. In welchem Ministeramt könnte man das am ehesten verwirklichen
MARTIN: Da könnte es ein Bürgerministerium geben.

ÖSTERREICH: Wenn Sie scheitern, bleiben Sie in Brüssel?
MARTIN: Ja, dann werde ich in der nationalen Politik kein neues Angebot machen. Scheitern werden wir aber nur, wenn sich die Leute durch ihr eigenes Steuergeld bestechen lassen. Wir kommen mit einer Million Euro an Wahlkampfkosten aus. Jede andere Partei verprasst mindestens jeweils 15 Millionen.

ÖSTERREICH: Das heißt, die Österreicher sind jetzt unter Druck: Martin – jetzt oder nie im Nationalrat?
MARTIN: Wir sind niemandem verpflichtet. Frei von Lobbyisten oder riesigen Parteiapparaten, die man durchfüttern müsste.

ÖSTERREICH: Was finden Sie eigentlich gut an der EU?
MARTIN: Eine europäische Gemeinschaft ist unverzichtbar. Aber wir müssen die EU vom Kopf auf die Füße stellen, basierend auf wirklicher Demokratie. Sonst wird die Union implodieren wie die Sowjetunion.

ÖSTERREICH: Was glauben Sie, wo sich Österreichs Zukunft entscheidet.
MARTIN: Wir stellen uns schon auf 2030 ein. Es wird mehr ältere Mitbürger geben, und der Klimawandel wird immer deutlicher. Unsere Idee ist die einer lebensfrohen Seniorenresidenz. Welche Nischen kann Österreich bieten, so dass die Leute aus den boomenden Ländern zu uns kommen? Vor allem die schöne Natur. Es ist nicht so extrem wie im Himalaja, es ist auch nicht so flach wie im Schwarzwald.

ÖSTERREICH: Wie soll diese Seniorenresidenz ausschauen?
MARTIN: Man muss Ruheräume schaffen, die für ältere Leute gut nutzbar sind. Und auch denen, die wahnsinnig viel zum Hackeln haben, muss man sechs bis acht Wochen solche Räume anbieten können. Also Rückzugsräume für Chinesen und Inder, die sich hier ausruhen können. Und so wieder Arbeitsplätze schaffen.

ÖSTERREICH: Eine einfache Frage was die nächste Generation betrifft: Interessiert sich ihr Sohn (14) für Politik?
MARTIN: Ich sage ihm immer: Bitte versprich mir, dass Du nie in die Politik gehst.

ÖSTERREICH: War es ein Fehler, in die Politik zu gehen?
MARTIN: Ja, könnte ich eine Entscheidung in meinem Leben rückgängig machen, wäre ich 1999 nicht in die Politik gegangen.

ÖSTERREICH: Haben Sie sich negativ verändert?
MARTIN: Ja, man wird härter. Wenn man jemanden überzeugen will, muss man sehr vorsichtig sein, ob er nicht gerade eine Falle aufbaut. Was mir stets nahe ging, denn ich bin so etwas wie ein Vorarlberger Kalifornier. Ich habe 15 Jahre in Vorarlberg gelebt, dann ein sehr prägendes Jahr als Austauschstudent in den USA verbracht und da lernt man, auf Win-Win Situationen zu setzen. In der Politik geht es leider fast immer nur um ein Entweder-Oder.

ÖSTERREICH

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