Umfangreiche Berichtspflichten vor allem bei "überregionaler" Bedeutung oder "wichtigen Personen" sorgen für mächtig Wirbel in der Justiz.
Der Umgang mit sogenannten "clamorosen" Strafsachen steht nicht erst seit dem Bericht der Kommission um den Korruptionsexperten Martin Kreutner, oe24 berichtete, in der Kritik. In diesen Fällen, an denen ein besonderes öffentliches Interesse besteht, sind die Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften besonders umfangreich und dementsprechend viele Stellen mit der Prüfung betraut.
Teils 15 Personen mit einer Prüfung befasst
Teils sind 15 Personen auf mehreren Ebenen mit einer Prüfung befasst. Kreutner selbst sprach vom "30-Augen-Prinzip" und empfahl eine Beschränkung auf zwei Instanzen.
Unterschiedliche Strafverfahren
Neu ist die Kritik an den Berichtspflichten nicht. So wurde das Thema etwa zuletzt im Bericht der "Arbeitsgruppe zur Schaffung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft" erörtert - schon darin wurde der Unterschied zwischen
- "normalen Strafverfahren" ohne Berichtspflichten und
- jenen gegen Personen des öffentlichen Interesses mit Berichtspflichten bis hinauf zur Justizministerin
von Teilen der Arbeitsgruppe als problematisch eingestuft, eben wegen des Eindrucks einer "Zwei-Klassen-Justiz". Einig war sich die Gruppe in der Frage allerdings nicht.
Wichtige Fälle werden besonders gehandhabt
Geregelt sind die Berichtspflichten in clamorosen Fällen einerseits im Staatsanwaltschaftgesetz, andererseits in einem eigenen Erlass des Justizministeriums. Demnach müssen Staatsanwaltschaften über "Strafsachen, an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht, oder in denen noch nicht hinreichend geklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind, von sich aus der jeweils übergeordneten Oberstaatsanwaltschaft berichten".
Die Oberstaatsanwaltschaft wiederum muss darüber hinaus bei Fällen von überregionaler Bedeutung oder einer noch nicht hinreichend geklärten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
- die Berichte der Staatsanwaltschaften
- samt eigener Stellungnahme
- dem Justizministerium vorlegen.
Die entsprechende Sektion im Ministerium erhält dazu zunächst nicht den Akt an sich - erst bei Bedenken oder Unvollständigkeiten ist dieser ganz oder in Teilen vorzulegen.
Ministerin kann Weisung zur Behandlung der Sache erteilen
Noch komplizierter wird es, wenn die Ministerin oder der Minister eine Weisung zur Behandlung der Sache erteilen will - etwa weil die Entscheidung der unteren Instanzen abgeändert werden soll. Dann ist nämlich auch noch der Weisungsrat im Justizministerium zu befassen.
Gleiches gilt, wenn dies die Ressortchefin bzw. der Ressortchef "wegen des außergewöhnlichen Interesses der Öffentlichkeit an der Strafsache, insbesondere bei wiederholter und überregionaler medialer Berichterstattung oder aus Befangenheitsgründen für erforderlich hält" oder wenn es um Strafsachen gegen Bundespräsident, Regierungsmitglieder, Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs, des Verwaltungsgerichtshofs, des Obersten Gerichtshofs sowie der Generalprokuratur geht.
Was ist alles "clamoros"?
Im Erlass an die Staatsanwaltschaften wiederum ist geregelt, wann eine Strafsache konkret als "clamoros" zu gelten hat. Das besondere öffentliche Interesse kann dabei aufgrund der Bedeutung der Straftat entstehen - etwa bei Straftaten, die "das allgemeine Sicherheitsgefühl erheblich beeinträchtigen, wie etwa spektakuläre Tötungsdelikte, terroristische Angriffe oder massive Cyberattacken".
Das Interesse kann aber auch durch die Person des Verdächtigen gegeben sein - etwa wenn diese eine "maßgebliche Funktion im öffentlichen Leben ausübt" und es einen Zusammenhang zwischen Funktion und Straftat gibt oder auch nur aus der Straftat persönliche Eigenschaften wie charakterliche Mängel hervorgehen, die für ein Urteil über die Funktionsausübung relevant sind. Dabei ist es unerheblich, ob die Person noch im Amt ist. Inbegriffen sind damit auch Strafsachen gegen (ehemalige) Mitglieder eines allgemeinen Vertretungskörpers - außer wenn ein Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit auszuschließen ist.