Zu Asyl und Terror

Kanzler und EU-Präsident im Interview

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Das ÖSTERREICH-Gipfelgespräch mit Schulz und Faymann.

Den deutschen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz und Bundeskanzler Werner Faymann eint eine lange politische Freundschaft. Der SPD-Spitzenmann und der rote Kanzler zeigen im gemeinsamen ÖSTERREICH-Interview im Wiener Kanzleramt auch ihre klare Linie zur Flüchtlingspolitik und ihr Engagement gegen die „Konjunkturritter der Angst“, wie etwa Schulz die Rechtsaußen-Parteien der EU nennt. Beide Herren wollen jedenfalls die EU-Außengrenzen besser schützen und Flüchtlinge gerechter innerhalb Europas verteilen:

ÖSTERREICH: Herr Parlamentspräsident, Herr Kanzler, droht die EU angesichts der EU-Flüchtlingspolitik nicht zu zerbrechen? Derzeit agieren die 28 EU-Staaten eher gegen- als miteinander, oder?
Martin Schulz: Die sogenannte Flüchtlingskrise – ich wehre mich gegen den Begriff Krise, denn die 28 EU-Länder haben 507 Millionen Einwohner und es geht um eine Million Flüchtlinge, die aufgeteilt werden müssen – treibt uns auseinander. Dabei wäre es nicht schwer eine Million Menschen gerecht zu verteilen. Die Flüchtlingsbewegungen könnten zu einer Krise werden, weil wir die Lasten nicht gemeinsam tragen und den Solidaritätsgedanken der EU vernachlässigen. Nicht wir, denn Länder wie Schweden, Österreich und Deutschland leisten viel und zeigen sich solidarisch, aber eine Reihe an EU-Ländern stiehlt sich aus der Verantwortung und tut so, als ginge sie das alles nichts an.
Werner Faymann: Die EU war auf Flüchtlingsströme dieser Art nicht vorbereitet. Daher konnten wir nicht auf bestehende Instrumente zurückgreifen. Wir stehen vor der Herausforderung unserer Generation und müssen erst ein neues Fundament aufbauen. Wir haben weder einen ausreichenden Schutz der EU-Außengrenzen noch ein wirklich funktionierendes Rückführungssystem für Menschen, die keinen Asylanspruch haben. Wir müssen das gemeinsam schaffen, auch eine gerechte Verteilung. Und jene Länder, die jetzt keine Solidarität zeigen, sollte man daran erinnern, dass sie EU-Netto-Empfänger sind, die in anderen Bereichen Förderungen empfangen. Solidarität ist keine Einbahnstraße.
ÖSTERREICH: Herr Schulz, soll man EU-Staaten, die sich nicht an die Flüchtlingsquoten halten, EU-Förderungen streichen?
Schulz: Das auf sieben Jahre festgelegte EU-Budget wird 2016 überprüft, darauf hatten gerade auch Werner Faymann und ich gedrängt. Und es ist logisch, dass wenn sich die politischen Prioritäten verändern, sich auch die Prioritäten bei der Finanzierung verändern. Manche Länder fordern Solidarität ein und erhalten diese auch, etwa wenn es um EU-Gelder, militärischen Beistand oder Sanktionen gegen andere Länder geht, sind aber nicht bereit ihrerseits Solidarität zu üben. Eine derartige Rosinenpickerei geht nicht. Solidarität ist eines der Grundprinzipien der EU. Wir werden 2016 daher sicher eine spannende Debatte über das Budget führen.
ÖSTERREICH: Das andere große Thema, das die EU vor eine Zerreißprobe stellt, ist die Anti-Terrorbekämpfung. Was kann die EU gegen den Terror machen?
Faymann: Die Terrorbekämpfung darf nicht mit der Flüchtlingsfrage vermischt werden. Denn die Menschen flüchten ja vor diesem Terror. Wenn wir sagen, wir wollen die Zahl der Flüchtlinge reduzieren, muss die Bekämpfung von Terroristen wie dem IS vorrangiges Ziel sein. Dazu brauchen wir auch innerhalb der EU stärkere polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit. Und wir müssen die Finanzierung der Terroraktivität aufdecken und stilllegen. Natürlich können Terroristen auch vereinzelt unter den Flüchtlingen sein, aber das ist nicht die Schuld der Flüchtlinge.
ÖSTERREICH: Die Attentäter von Paris waren ja Franzosen, Europäer. Was kann die EU gegen diesen „home grown“-Terrorismus machen?
Schulz: Ich habe selten eine perfidere Argumentation erlebt, als die Denunzierung von Flüchtlingen als Terroristen. Sie haben etwas Wichtiges gesagt: Die Terroristen waren Europäer. Da gehen junge Leute aus europäischen Gesellschaften nach Syrien und lassen sich dort zu Verbrechern ausbilden. Vor genau diesen Verbrechern fliehen die Flüchtlinge. Wir dürfen nicht zulassen, dass politische Konjunkturritter der Angst, Flüchtlinge denunzieren und unter Generalverdacht stellen. Diese Populisten, wie diese Dame, die in Frankreich Präsidentin werden will, haben für alles einen Sündenbock, aber für nichts eine Lösung.
Faymann: Wenn rechte Nationalisten die Mehrheit bekämen, würden sie die EU zerstören. Daher brauchen wir gemeinsame Lösungen. Wohin uns Hass führt, hat das vorige Jahrhundert gezeigt.
Interview: Isabelle Daniel

 

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