Spitzenkandidat für EU-Wahl wird im Dezember bestimmt.
Christian Kern will ins Europäische Parlament und dem Vernehmen nach als Spitzenkandidat der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) bei den nächsten Europawahlen im Mai 2019 kandidieren. Beobachter in Brüssel schätzen seine Chancen hierfür als nicht so schlecht ein, denn bisher hat sich nur der slowakische Kommissionsvize Maros Sefcovic für den Posten deklariert.
Am Montag hatte Kern auf APA-Anfrage noch gemeint, Sefcovic sei ein sehr guter Kommissar, bei der Frage der Spitzenkandidatur sei aber "das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen". Offiziell wird der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten am 7. und 8. Dezember in Lissabon gekürt, bis dahin wird wohl noch der eine oder andere Kandidat hinzukommen.
Mogherini dürfte nicht kandidieren
Die EU-Außenkommissarin Federica Mogherini dürfte EU-Kreisen zufolge nicht kandidieren. Weiter im Rennen sollen aber der niederländische Kommissionsvize Frans Timmermans und der französische Währungskommissar Pierre Moscovici sein. Doch auch wenn diese beiden EU-Schwergewichter antreten sollten, hätte Kern als ehemaliger sozialdemokratischer Regierungschef sicher gute, Chancen nominiert zu werden.
Zudem dürfte Kern diesen für viele überraschenden Schritt trotz aller Kommunikationspannen bei der Präsentation schon länger geplant haben. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er sich hierfür nicht die Unterstützung der sozialdemokratischen Parteien in Europa im Voraus gesichert hat.
Unterstützung von Macron möglich
Da Kern sich als erster sozialdemokratischer Regierungschef hinter die Kandidatur von Emmanuel Macron bei den französischen Präsidentschaftswahlen gestellt hat, dürfte er wohl auch dessen Unterstützung genießen. Macron hat zwar noch offengelassen, ob seine Bewegung La République en Marche (LRM) bei den Europawahlen alleine oder gemeinsam mit der liberalen ALDE-Fraktion antritt, er hatte aber klargemacht, dass er sich als Hauptgegner von Nationalisten wie Viktor Orbán und Matteo Salvini ansieht.
Als S&D-Spitzenkandidat hätte Kern durchaus Chancen, wenn auch geringe, die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident anzutreten. Bei der Europawahl 2014 vereinbarten die drei größten Fraktionen, die konservative EVP, die S&D sowie die ALDE, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion zum Kommissionspräsidenten gewählt werden solle.
An einem Sieg der EVP zweifelt in Brüssel zwar niemand, mittlerweile haben aber etwa der Chef der französischen Regierungspartei LREM, Christophe Castaner, oder der deutsche S&D-Parlamentarier Jo Leinen diesen automatischen Mechanismus in Abrede gestellt. Dennoch dürfte der Posten wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit an den EVP-Kandidaten gehen, denn eine linke Mehrheit wäre jüngsten Umfragen zufolge nur hauchdünn und müsste neben den Grünen auch die Linksfraktion GUE/NGL sowie die ALDE und Macrons LRM umfassen.
Schwere Zeiten für Sozialdemokratie
Zudem scheint der Stern der Sozialdemokratie in Europa ohnehin am Sinken zu sein. Nur mehr sechs von 28 EU-Staaten - Spanien, Portugal, Malta, die Slowakei, Rumänien und Schweden - haben sozialdemokratische Regierungschefs. Der Niedergang der sozialdemokratischen Parteien in Italien und Frankreich sowie die schlechten Umfragewerte der SPD in Deutschland deuten momentan jedenfalls nicht auf einen Aufschwung der S&D bei den Europawahlen hin.
Auch wenn Kern also nicht Kommissionspräsident werden sollte, könnte er als S&D-Spitzenkandidat aber einen Posten in der EU-Kommission für sich beanspruchen. Denn bisher deutet alles darauf hin, dass sich die pro-europäischen Kräfte - die EVP, die S&D, ALDE und die Grünen - bei der Wahl der Kommission zusammentun werden, um die nationalistischen und rechten Kräfte von der Macht fernzuhalten.
Kern liegt Opposition nicht
Geeignet für so einen Posten wäre der ehemalige Spitzenmanager Kern zweifelsohne, und in der Kommission hätte er die Möglichkeit, etwas zu bewirken. Denn sicher dürfte auch Kern erkannt haben, dass ihm die Rolle als Oppositionspolitiker nicht so liegt und die Chancen, die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei den nächsten Wahlen zu besiegen, verschwindend gering sind.
Allerdings wird in Wien bereits heftig abgewunken, was ein höheres EU-Amt für Kern betrifft. In ÖVP-Kreisen wird diesbezüglich auf Artikel 17 des EU-Vertrags verwiesen, wonach die Mitglieder der EU-Kommission von den Mitgliedsstaaten nominiert werden. Dass ausgerechnet eine ÖVP-geführte Regierung erstmals seit dem EU-Beitritt einen Sozialdemokraten als Kommissar nach Brüssel schickt, gilt als ausgeschlossen.