Das neue Gewaltschutzgesetz sieht eine Anzeigepflicht bei Misshandlungen von Kindern vor. Die Wohlfahrtsverbände laufen Sturm.
Wenig Freude haben viele Praktiker mit dem am Mittwoch präsentierten Maßnahmenpaket zum Sexualstrafrecht. Vor allem die Ausweitung der Anzeigenpflicht bem Kindesmissbrauch stößt auf Kritik. Monika Pinterits, Kinder- und Jugendanwältin in Wien, befürchtet beispielsweise, dass sich der Druck der Täter auf die Kinder weiter erhöhen werde, wenn sie von der Anzeigenverpflichtung erfahren würden. Kinder würden dann noch weniger mit Außenstehenden über ihre Probleme reden, so Pinterits im ORF-"Morgenjournal".
"Ich glaube nicht, dass die derzeit geführte Diskussion viel dazu beitragen kann, Kinder tatsächlich vor Gewalt zu schützen", sagte Pinterits via Aussendung. Anstatt über den Kopf von Kindern und Jugendlichen und deren tatsächlichen Bedürfnissen hinweg zu reden, sollten Überlegungen im Vordergrund stehen, wie der gesellschaftliche Stellenwert von Kinder und Jugendlichen ein anderer werden könnte.
Jugendwohlfahrt
Ähnlich der Sprecher der Arge Jugendwohlfahrt,
Werner Grabher: "Wir befürchten, dass die Grundlage der
Jugendwohlfahrtsarbeit, nämlich eine Vertrauensbasis zu den Betroffenen, zu
den Minderjährigen, zu den Eltern herzustellen, gewaltig erschwert wird,
dass sie in vielen Fällen nicht mehr möglich sein wird - bis hin zu
möglicherweise zusätzlichen Misshandlungen und damit stärkerer Gefährdung
der Kinder", sagte er im "Morgenjournal".
Kritisch äußerte sich auch das Netzwerk Kinderrechte: Es gäbe einschneidende gesellschaftliche Veränderungen, wodurch es vielen Eltern - aus verschiedenen Gründen - nicht oder nur mit größter Anstrengung gelingen würde, für die körperlich und seelisch gesunde Entwicklung ihrer Kinder zu sorgen. "Eine undifferenzierte Anzeigepflicht etwa würde das Gegenteil bewirken - nämlich eine Verschlimmerung der Situation von Kindern, die Gewalt erleben", da eine Nicht-Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung drohe, hieß es.
Position von Kindern soll gestärkt werden
Kinder- und
Jugendpsychiater Ernst Berger, Mitglied des Netzwerks Kinderrechte: "Es ist
Tatsache, dass die Position von Kindern und Jugendlichen in diesem Land nach
wie vor keine sehr starke ist. Kinder werden in Österreich tendenziell als
Objekte und nicht als Rechtssubjekte betrachtet. Das ist zwar nicht die
Ursache für solche Verbrechen, aber in so einer Gesellschaft passiert es
eben leichter, Kindern sämtliche Rechte abzusprechen und sie zum eigenen
Besitz zu degradieren."
Protest kam auch vom Sprecher der Kinderärzte in der Ärztekammer, Dietmar Baumgartner. Er glaubt, "dass jene Eltern, die am meisten gefährdet sind, sicher nicht mehr den Arzt aufsuchen." Daher halte er dieses Gesetz für den absolut falschen Weg. Die Polizei wäre mit den vielen Anzeigen außerdem nur überlastet.seelische Integrität eines betroffenen Minderjährigen obliegt.
Rosa Logar, die Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, befürwortete die Anzeigenpflicht im ORF-"Mittagsjourna", zumindest wenn das Kind schwer verletzt ist. Als Beispiel nannte sie den Fall Luca: Es wäre hier wichtig gewesen wäre, den mutmaßlichen Täter für die schweren Misshandlungen zu belangen, damit sich der Vorfall nicht hätte wiederholen können. Logar vermutete auch, dass die Mehrheit der Eltern gar nicht weiß, dass etwa für Ärzte seit vielen Jahren keine Anzeigepflicht mehr besteht, wenn sich der Verdacht einer Kindesmisshandlung gegen einen Elternteil richtet.