Minister: "Noch nie an ein Aufgeben gedacht"

Nehammer über Corona-Stress und Morddrohungen

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Die erste große Bilanz des Innenministers nach acht Monaten in der Bundesregierung: „Ja, es war sehr sportlich.“

Der ÖVP-Generalsekretär musste rasch umdenken: Vom Parteigeneral zum Polizeichef in wenigen Tagen, die Verwandlung war in den ersten Wochen herausfordernd. Und die üblichen Verdächtigen, die alles andere lieber hätten als die ÖVP in der Bundesregierung, hatten sich sehr rasch auf ihn eingeschossen.

Doch „Django Nehammer“, wie ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner den Minister locker, aber immer wertschätzend bei den Interviews ankündigt, hat die Social-Media-Stürmchen und die Suderei gewisser Zeitungs-Kommentatoren gut abgewehrt. „Ich konsumiere soziale Medien ja nur in einem sehr überschaubaren Ausmaß. Auch für meine eigene seelische Hygiene“ will der Minister diverse Trolle und Hater über ihre Fake-­Accounts nicht an sich heranlassen.

"Schützen die Grundrechte 
aller, die in Österreich leben"

Angriffe. Bei Mitgliedern der türkischen Regierung lassen sich die Attacken allerdings nicht wegzappen. Karl Nehammer im Talk mit dem INSIDER: „Ich glaube, dass die Situation von der türkischen Seite völlig falsch interpretiert worden ist. Es geht uns nicht darum, in Österreich lebende Türken zu diskreditieren. Wir möchten die Grund- und Freiheitsrechte aller in Österreich lebenden Menschen, ohne Unterschied von Ethnie und Religion, schützen.“

Die unnachgiebige Haltung des Familienvaters gegenüber den Beschwerden und Angriffen der türkischen Regierung nach den Ausschreitungen bei den Demos in Wien-Favoriten hat den Innenminister ins Visier der „Grauen Wölfe“ gebracht: Die als rechtsradikal bekannte Gruppierung verschickte Morddrohungen, Karl Nehammer steht seitdem rund um die Uhr unter dem Schutz der Polizeispezialeinheit Cobra. Trotz dieser sehr ernst zu nehmenden Drohungen bleibt der Bundesheer-Oberleutnant dabei: „Ein ,Jetzt höre ich auf, das ist zu viel‘ gibt’s bei mir nicht. Ich habe bisher noch keine Sekunde an ein Aufgeben gedacht.“

Rascher Ermittlungserfolg nach Angriff auf Grazer Synagoge

Auch im erschütternden Fall jenes Islamisten, der den Präsidenten der jüdischen Gemeinde Graz mit einem Holzprügel attackiert hat, gelang dem Verfassungsschutz-Team des Innenministers und der Grazer Polizei ein schneller Ermittlungserfolg. Und nach umfassenden Vernehmungen des homophoben tatverdächtigen Syrers war dann auch klar, dass der Migrant nicht nur die Attacke auf Präsident Elie Rosen exakt geplant hat, sondern sich im Web über blutige Terroranschläge mit Sprengstoffgürtel und Eigenbau-Bomben erkundigt hat.

Die Exekutive wird im jetzt beginnenden Herbst verstärkt die Außengrenzen überwachen – der Innenminister startete dazu auch ein neues Drohnenprojekt zur Kontrolle der grünen Grenze. Karl Nehammer berichtet dazu von den neuesten Prognosen der Migrations-Experten des Innenministeriums: „Wir haben bereits im Juni wieder einen Anstieg der Asylanträge erkennen können. Der Migrationsdruck an den Außengrenzen nimmt kontinuierlich zu, das ist kein Geheimnis.“

Trotz der „sehr sportlichen“ ersten acht Monate im Innenministerium will „Django“ auch künftig ausreichend Zeit für seine Ehefrau Kathi und die beiden Kinder freischaufeln: „Leider gibt’s viel zu selten Handy-freie Stunden. Aber wir versuchen, die Freizeit wirklich gut zu nutzen.“

 

INSIDER: Der Spitzel-Skandal, der mit den Ermittlungen zu den Gewaltdemos in Wien-Favoriten aufgeflogen ist, sorgte auch international für Schlagzeilen. Kam bereits eine konkrete Reaktion aus Ankara auf die Ermittlungsergebnisse des Verfassungsschutzes?

Karl Nehammer: Es gab eine Reaktion des türkischen Außenministeriums, und der türkische Botschafter hat sich zu Wort gemeldet. Ich glaube, dass die Situation aber völlig falsch interpretiert wurde. Es geht uns nicht darum, in Österreich lebende Türken zu diskreditieren, wie uns aus Ankara vorgeworfen wird. Wir möchten die Grund- und Freiheitsrechte aller in Österreich lebenden Menschen, ohne Unterschied von Ethnie und Religion, schützen. Der Schutz unserer gewachsenen Demokratie ist die vordringlichste Aufgabe eines Innenministers. Ich werde es daher nicht dulden, dass Menschen in Österreich von fremden Nachrichtendiensten ausspioniert oder bespitzelt werden.

INSIDER: Konnte bei den Ermittlungen ein Brennpunkt festgestellt werden, in einem Bezirk oder sogar in einem Vereinslokal?

Nehammer: Wir haben in mehreren Bundesländern ähnliche Vorfälle und dadurch eine bestimmte Systematik erkennen können. Der Verfassungsschutz hat Kenntnis von einer Reihe anderer Fälle, allerdings sind die Opfer oft derart eingeschüchtert beziehungsweise unter Druck gesetzt, dass sie nicht den Kontakt mit der Polizei suchen. Aber Derartiges werde ich in Österreich nicht dulden. Wer unsere demokratischen Grundrechte nicht akzeptiert, steht am extremen Rande unserer Gesellschaft.

INSIDER: Die Dokumentation der Ausschreitungen in Wien-Favoriten hat gezeigt, dass die gewaltbereiten Demonstranten aus 32 Nationen gekommen sind – aus welchen Ländern kamen die meisten der Teilnehmer?

Nehammer: Es konnten Teilnehmer unterschiedlichster Herkunft ausgemacht werden. Die größte Gruppe waren Türken und Österreicher mit türkischem Migrationshintergrund.

INSIDER: Wie funktioniert in diesem Fall die Zusammenarbeit mit befreundeten Nachrichtendiensten?

Nehammer: Eine Reihe anderer Staaten kennt die Probleme der türkischen Einflussnahme. Wir stehen mit diesen Diensten, genauso wie mit Europol, in engem Austausch. Besonders Deutschland ist hier ein wichtiger Partner. Ich stehe daher im regelmäßigen Kontakt mit Joachim Herrmann.

INSIDER: Ist Österreichs Verfassungsschutz personell in der Lage, mit dieser Situation gut umzugehen? Braucht es eine Verstärkung der dafür zuständigen Abteilungen?

Nehammer: Wir stehen gerade mitten in einem Reformprozess des Verfassungsschutzes. Im Zentrum dieser Reform steht die Erweiterung um den nachrichtendienstlichen Aspekt. Gerade hier müssen wir ansetzen, um die Einflussnahme ausländischer Dienste nachhaltig zu verhindern.

INSIDER: Werden jene Vereine, die in Verdacht stehen, die Ideologie aus Ankara hier in Österreich sowie Gedanken des radikalen Islam weiterzuverbreiten, genauer beobachtet werden?

Nehammer: In Österreich leben etwa 350.000 Menschen mit türkischen Wurzeln. Das ist eine große und vor allem sehr heterogene Gruppe von Menschen. Jeder, der sich mit unseren demokratischen Grundwerten identifiziert, ist hier willkommen und Teil unserer Gesellschaft. Wer das nicht akzeptiert, muss auch mit Konsequenzen durch die Behörden rechnen.

INSIDER: Auch der Tatverdächtige, der kürzlich den Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Graz angegriffen hat, war ein radikaler Islamist – ist diese Person, ein syrischer Migrant, je im Visier des BVT gewesen?

Nehammer: Die Ermittlungen sind noch im Laufen. Der Tatverdächtige hat sich radikalisiert und dann abgeschottet. Er trat vorher nicht in Erscheinung. Die laufenden polizeilichen Ermittlungen haben aber auch ergeben, dass der Tatverdächtige im Internet nach Bauanleitungen für Molotowcocktails und Sprengstoffgürtel gesucht hat. Mein großer Dank gilt den Polizistinnen und Polizisten in Graz, denen es gelungen ist, den Täter rasch auszuforschen und festzunehmen.

INSIDER: Zur versuchten Zuwanderung nach Österreich: Die Zahlen sind aktuell gering – wie ist Ihre Prognose für den Herbst und den Winter?

Nehammer: Wir haben bereits im Juni wieder einen Anstieg der Asylanträge erkennen können. Der Migrationsdruck an den Außengrenzen nimmt kontinuierlich zu – das ist kein Geheimnis.

INSIDER: Sie betonten bei Ihrem jüngsten Besuch in Griechenland, dass Österreich ein starker Partner für die Grenzsicherung sei. Könnte das Innenministerium auch mehr Polizeikräfte für den Schutz der griechischen Grenze zur Türkei abkommandieren?

Nehammer: Im März haben wir 13 Cobra-Beamte und ein Spezialfahrzeug zur Unterstützung an die griechisch-türkische Grenze entsendet – als einziges Land der Europäischen Union. Derzeit stehen 120 Beamte im Frontex-Einsatz.

INSIDER: Vollzug der Corona-Maßnahmen, türkische Spione, Überwachung der Grenzen, Reform des Verfassungsschutzes, Treffen in Brüssel – bringt Sie dieses Arbeitspensum nicht manchmal an Ihre Leistungsgrenze?

Nehammer: Die letzten Monate waren sehr sportlich (lacht). Innenminister ist eine wunderschöne Aufgabe – daraus schöpfe ich meine Kraft.

INSIDER: Sie stehen seit den Morddrohungen türkischer Extremisten unter Polizeischutz, kommt da nie der Gedanke: „Jetzt höre ich auf, das ist zu viel.“

Nehammer: Keine Sekunde lang.

INSIDER: Dann kommen noch die Kritiker auf den Social-­Media-Kanälen dazu – wie gehen Sie damit um?

Nehammer: Ich konsumiere soziale Medien nur in einem sehr überschaubaren Ausmaß – auch für meine eigene seelische Hygiene.

INSIDER: Gibt’s auch noch Handy-freie Stunden im Leben des Innenministers?

Nehammer: Leider viel zu selten. Aber ich versuche, die wenige Zeit, die mir mit der Familie bleibt, wirklich zu nutzen.

INSIDER: Wann erwarten Sie, dass die für uns schwierigste Zeit der Corona-Krise überwunden sein wird? Tatsächlich schon im Sommer 2021?

Nehammer: Die bisherigen Herausforderungen wurden sehr positiv gemeistert und ich bin optimistisch, dass wir uns im nächsten Sommer wieder der Normalität angenähert haben werden.

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