Isolierung

Sonderschulen sind menschenrechtswidrig

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Der Ausschuss, der die Umsetzung der entsprechenden UN-Konvention überwacht, ist sehr unzufrieden mit der Regierung.

Aus Sicht des Unterrichtsministeriums ist das System der Sonderschulen in Österreich kein Verstoß gegen die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Der Ausschuss, der die Umsetzung der UN-Konvention überwacht, hat Sonderschulen am Mittwoch in einer Sitzung im Parlament als "menschenrechtswidrig" verurteilt. Kindern mit intellektueller Behinderung könnten wie jedes andere Kind ihre Schulpflicht in vollem Umfang absolvieren, betont das Ministerium. Mittelfristig sei zwar eine "schrittweise Weiterentwicklung" der Sonderschule hin zu einer flächendeckenden Integration in Regelschulen "vorstellbar". Allerdings hätten "Spezialschulen" wegen der speziell ausgebildeten Lehrer und entsprechenden Ausstattung "durchaus ihre Daseinsberechtigung".

Integration "fixer Bestandteil"
Sinnes- und körperbehinderte Kinder seien "in das Schulleben voll integriert", heißt es in der Stellungnahme. Im Rahmen der Neuen Mittelschule (NMS) sei die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) aufgrund intellektueller bzw. schwerer körperlicher Behinderungen oder Lernbehinderungen "fixer Bestandteil".

Kritik übte der Monitoringausschuss auch daran, dass SPF automatisch zu einer "Verkürzung der Bildungsjahre" führe, da Integrationsklassen nur bis zur 8. Schulstufe besucht werden können. Auch die Behindertensprecherin der Grünen, Helene Jarmer, kritisierte anlässlich der Ausschuss-Sitzung in einer Aussendung, dass Integration von SPF-Schülern über die 8. Schulstufe hinaus nicht gewährleistet sei.

Erste Schulversuche starten
Das Ministerium verweist hingegen darauf, dass SPF-Kinder im Rahmen von Schulversuchen auch Polytechnische Schulen besuchen können. Nach einer Evaluierung sollen diese ins Regelschulwesen übergehen. Seit einigen Jahren gebe es außerdem einjährige Schulversuche an Wirtschaftsfachschulen, in den kommenden Jahres solle das Angebot auf Berufsbildende Mittlere Schulen (BMS) ausgeweitet werden. Erste Schulversuche dazu starten mit kommendem Schuljahr. Das Ministerium hebt auch die Möglichkeit Integrativer Berufsausbildung hervor, bei der SPF-Schüler mit verlängerter Lehrzeit ausgebildet werden oder Teilqualifizierungen erwerben. Ende 2009 waren 4.683 Lehrlinge in Integrativer Berufsausbildung, mehr als 75 Prozent der Betriebe wollen diese Lehrlinge weiter beschäftigen.

Jarmer forderte außerdem eine Öffnung des Lehrerberufs für Behinderte. Derzeit sei es laut Auskunft des Unterrichtsministeriums Gehörlosen "mangels spezifischer Verwendungsprofile im Dienstrecht" nicht möglich, an einer Pädagogischen Hochschule ausgebildet zu werden. Doch, so Jarmer, "Menschen mit Behinderung dürfen nicht mehr von der LehrerInnenausbildung ausgeschlossen werden".

Hintergrund: UN-Konvention von 2008
2008 hat Österreich die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert und sich damit verpflichtet, Kinder "nicht aufgrund von Behinderung" vom Schulbesuch auszuschließen. Eineinhalb Jahre später werden allerdings Kinder mit Behinderung noch immer getrennt in Sonderschulen unterrichtet. Das kritisiert Marianne Schulze vom Monitoringausschuss, der die Umsetzung der UN-Konvention überwacht. Sonderschulen seien menschenrechtswidrig, sagt Schulze und fordert deren Abschaffung.

Ausgrenzung und schlechtere Bildung
Sonderschulen - das umfasst auch spezielle Schulen etwa für blinde oder gehörlose Kinder - würden nicht nur den Ausschluss aus der "gesellschaftspolitischen Mitte" bedeuten, sondern auch Bildung auf niedrigerem Niveau, so der Ausschuss in seiner Stellungnahme. Er äußerst die Vermutung, dass unter den geschätzten 300.000 Analphabeten in Österreich Menschen mit Behinderung überproportional stark vertreten sind.

Nivellierung nach unten
Ein schlechtes Zeugnis stellt den Sonderschulen auch Ewald Feyerer, Experte für Inklusive Pädagogik von der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich, aus: Studien hätten gezeigt, dass Kinder mit Behinderung, Lernschwächen oder -störungen in Sonderschulen trotz kleinerer Lerngruppen und spezieller Lernmaterialien nicht - wie vom Gesetzgeber erhofft - besser gefördert werden als in der Regelschule. Das Niveau werde vielmehr heruntergeschraubt, in der Annahme, die Schüler kämen sonst nicht mit. Zusätzlich würden ihnen Entwicklungsmöglichkeiten genommen, da die soziale Durchmischung fehle. "Der Sonderstatus ist mit einem sozialen Stigma verbunden und nimmt den Kindern Lebenschancen", so Feyerer.

Integrationsklassen haben Mängel
In Österreich haben Eltern seit 1993 das Recht zu entscheiden, ob ihr behindertes Kind in eine Sonderschule oder Integrationsklasse gehen soll. Im Österreich-Schnitt wird aber nur knapp die Hälfte der rund 28.000 Schüler (Schuljahr 2008/09) mit Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) in solchen Klassen mit geringerer Schülerzahl, zusätzlichen Lehrern und alternativen Lernmethoden unterrichtet. Weiteres Manko: Derzeit können Schüler mit SPF wegen geistiger bzw. schwerer körperlicher Behinderung oder Lernstörung nur bis zur 8. Schulstufe Integrationsklassen besuchen. Die Einstufung als SPF-Kind bedeute damit eine "Verkürzung der Bildungsjahre", kritisiert der Ausschuss.

Der Monitoringausschuss selbst hat keine Möglichkeit zu Sanktionen wegen der aus seiner Sicht zu schleppenden Umsetzung der Konvention. Er wird allerdings - wie auch die Regierung - im Oktober beim zuständigen Monitoringausschuss der UNO in Genf einen Bericht zum Umsetzungsstand abgeben. Zusätzlich haben dank der UN-Konvention behinderte Menschen, die sich diskriminiert fühlen, die Möglichkeit zu einer individuellen Beschwerde bei der UNO.

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