Trotz der miesen Stimmung zwischen Brüssel und London ringt sich May ein Kompliment für Kurz ab.
Die britische Premierministerin Theresa May hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die österreichische EU-Ratspräsidentschaft für die konstruktive Rolle beim Brexit gelobt. Kurz sei "sehr hilfreich" mit seinem positiven Ansatz in den Verhandlungen gewesen, sagte May nach dem EU-Gipfel am Freitag in Brüssel auf die Frage von ÖSTERREICH-Politik-Insiderin Isabelle Daniel.
Kurz wolle, dass es für beide Seiten einen guten Deal gebe. Österreich habe "eine sehr gute Präsidentschaft" hingelegt, sagte May. "Er war sehr positiv", sagte sie über Kurz.
Brexit: Poker ohne Ende
Dennoch ist die Stimmung zwischen den EU-27-Staaten und Großbritannien derzeit getrübt. Die EU will sich im Poker um die Ratifizierung des Brexit-Abkommens in Großbritannien nicht erpressen lassen. Der EU-Gipfel machte Premierministerin Theresa May in der Nacht auf Freitag zwar eine Reihe von Zusicherungen, diese blieben aber rechtlich unverbindlich. Das Echo auf der Insel war verheerend, die Opposition forderte eine Abstimmung über den Deal noch vor Weihnachten.
"Es sieht so aus, als hätte die Premierministerin darin versagt, bedeutungsvolle Veränderungen zu ihrem Brexit-Deal zu liefern", twitterte der Brexit-Sprecher der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer. Auch in der Presse wurde der Versuch Mays, Zugeständnisse in Brüssel zu erreichen, als Rückschlag gedeutet. Die Londoner "Times" befand, die EU habe May "gedemütigt". Dem "Guardian" zufolge war die Reaktion aus Brüssel auf die Bitte der Premierministerin ein "vernichtender Schlag" für ihre Hoffnungen, den Deal zu retten.
Wachsendes Unverständnis in der EU
EU-Vertreter berichteten von wachsendem Unverständnis über das Brexit-Chaos in Großbritannien und unklare Vorstellungen Mays. Die EU will sich deshalb nun verstärkt auf einen Austritt ohne Abkommen vorbereiten. Der britische Vize-Premier David Lidington sagte, dass die Zusicherungen nicht reichten und kündigte weitere Gespräche Mays mit EU-Regierungschefs an. Diese traf am Freitag in Brüssel bilateral mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusammen.
Bundeskanzler Sebastian Kurz forderte Großbritannien auf, das Austrittsabkommen dringend zu ratifizieren. "Wir haben eineinhalb Jahre verhandelt und es gibt ein Austrittsabkommen, das ein gutes ist für beide Seiten", betonte er. Die EU wolle einen chaotischen Austritt ohne Abkommen vermeiden. "Großbritannien muss aber auch akzeptieren, was die roten Linien für die EU sind."
Belgiens Regierungschef Charles Michel sagte über Mays Auftritt: "Wir haben kein starkes Signal bekommen, dass das Parlament dies billigen wird." Die Ratifizierung in London sei sehr unsicher. "Es gibt gigantische Zweifel", sagte Michel. Auch der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel monierte: "In London ist noch ein bisschen so schwabbelig, wie es wirklich aussehen soll."
Innenpolitisches Chaos
May steht seit Monaten innenpolitisch massiv unter Druck und hatte eine Abstimmung über den Brexit-Vertrag im britischen Unterhaus wegen einer drohenden Ablehnung verschieben müssen. Die Regierungschefin forderte zum Gipfelauftakt "rechtliche und politische Zusicherungen" mit Blick auf die im Austrittsvertrag festgelegte Auffanglösung für Nordirland. Diese würde in Kraft treten, wenn sich die EU und Großbritannien in den kommenden Jahren nicht auf eine bessere Lösung einigen. Das Vereinigte Königreich bliebe dann bis auf Weiteres in einer Zollunion mit der EU.
Brexit-Hardliner in Mays konservativer Partei befürchten, dass das Vereinigte Königreich auf Dauer an die EU gebunden bliebe. Sie fordern deshalb ein Enddatum für den sogenannten Backstop zu Nordirland. Dies lehnt die EU aber kategorisch ab. Allerdings versicherten die EU-Staats- und Regierungschefs, dass der Backstop nicht als dauerhafte Lösung gedacht sei.
May bat ihre EU-Kollegen am Donnerstagabend eindringlich um Unterstützung. In ihrem Land habe sich der Eindruck verbreitet, die Nordirland-Klausel in dem Austrittsvertrag sei eine "Falle, aus der das Vereinigte Königreich nicht mehr herauskommt", sagte sie. Mit den "richtigen Zusicherungen" könne das Brexit-Abkommen im Unterhaus aber noch verabschiedet werden.
EU weist Neuverhandlungen zurück
In einer Erklärung hielten die anderen EU-Chefs daraufhin fest, dass sie "Neuverhandlungen" zu dem Austrittsvertrag ausschließen. Die EU sei aber "fest entschlossen", mit London nach dem EU-Austritt im März 2019 schnell Verhandlungen über ein Abkommen zu den künftigen Beziehungen aufzunehmen, um die Auffanglösung für die irische Grenze überflüssig zu machen.
Falls die Notlösung doch kommen würde, solle sie nur "vorübergehend" und "so lange wie unbedingt erforderlich" in Kraft bleiben. All dies sind jedoch unverbindliche Absichtserklärungen, welche die Brexit-Hardliner kaum beruhigen dürften.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kritisierte, die Diskussionen mit Großbritannien seien "mitunter nebulös und unpräzise". Es könne nicht sein, dass London erwarte, dass die EU "die Lösungen liefert". Juncker kündigte eine Intensivierung der Vorbereitungen auf einen Hard Brexit an. Kommende Woche werde die EU-Kommission einen Leitfaden für einen Austritt ohne Deal vorlegen.
Schlechte Stimmung
Die Stimmung bei den Gipfel-Gesprächen mit May sei "sehr schlecht" gewesen, hieß es aus EU-Kreisen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel unterbrach die Premierministerin demnach während ihres Vortrags mehrfach und forderte sie zur Präzisierung ihrer Haltung auf.
Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel warnte London davor, die Geduld der EU-Partner durch eine Hinhaltetaktik überzustrapazieren. "Wir werden nicht Gipfel auf Gipfel auf Gipfel machen", sagte er. May habe aber "den bestmöglichen Deal" ausgehandelt. Einige in London versuchten aus innenpolitischen Gründen, die künftige Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich "aufs Spiel zu setzen".
Der rumänische Präsident Klaus Iohannis (Johannis), dessen Land am 1. Jänner den EU-Ratsvorsitz übernimmt, betonte: "Wir brauchen eine Entscheidung der Briten, um weitermachen zu können. Der Druck liegt nicht bei uns, der Druck liegt in Großbritannien."
Die nordirische Democratic Unionist Party (DUP) machte dagegen May für das Dilemma verantwortlich. Sie habe "ein Abkommen unterzeichnet, von dem die Premierministerin hätte wissen sollen, dass es im Parlament keine Unterstützung bekommt", erklärte DUP-Chefin Arlene Foster. Die DUP unterstützt Mays Minderheitsregierung, hat aber bei Verabschiedung des Brexit-Vertrags mit einem Bruch der Partnerschaft gedroht.