Der 48-Jährige steht zum vierten Mal an der Spitze der Freiheitlichen Kandidaten.
Heinz-Christian Strache zieht zum bereits vierten Mal als FP-Chef in eine Nationalratswahl. Diesmal probiert er es allerdings ein wenig anders als bisher: Der früher stets lautstark verkündete Anspruch auf Platz eins ist verstummt. Denn Strache schielt auf das Vizekanzleramt und übt sich in staatstragender Pose. Neben gewohnt polternder Angriffigkeit serviert Strache daher auch sanftere Töne.
Die Chance für den FPÖ-Chef, nach der Wahl bei der Regierungsbildung ein Wörtchen mitzureden, ist angesichts der tiefen Gräben zwischen SPÖ und ÖVP und dem Ende der strikten Abgrenzungspolitik der Sozialdemokratie gegenüber den Freiheitlichen wohl so groß wie selten zuvor. Bei Straches Übernahme der FPÖ vor mehr als elf Jahren hingegen hätten wohl die wenigsten Beobachter erwartet, dass der nun 48-Jährige jemals eine realistische Chance haben könnte, in eine Regierung einzutreten. Strache, damals neuer Wiener Parteichef, übernahm die Bundespartei an ihrem Tiefpunkt: Nach den Jahren des Niedergangs während der schwarz-blauen Koalition, der desaströsen Wahlniederlage 2002 und der Abspaltung des BZÖs durch Parteigründer Jörg Haider Anfang April 2005.
Mit seinen damals 35 Jahren avancierte er beim Parteitag in Salzburg zum zehnten und jüngsten Bundesobmann in der Geschichte der Freiheitlichen. Als Hoffnungsträger der finanziell, personell und organisatorisch gebeutelte Traditionspartei erhielt Strache, der zu diesem Zeitpunkt als Rechtsausleger der Bewegung galt, 90,1 Prozent der Delegiertenstimmen. Mit Tränen in den Augen und zu den Klängen von "We need a Hero" trugen ihn seine Sympathisanten auf den Schultern auf die Bühne. Wohl nicht ganz zufällig ähnelte dieses Bild jenem, das dereinst Haider beim Innsbrucker Parteitag 1986 bei dessen Machtübernahme lieferte.
Der neue Parteichef verkündete die "Wiedergeburt einer starken freiheitlichen Partei" und versprach bereits damals in seiner Parteitags-Rede, die Fehler seiner Vorgänger nicht zu wiederholen. Dabei blieb er bis heute. So wird er nicht müde zu betonen, er sei nach einer Nationalratswahl keinesfalls dazu bereit, etwa als Zweiter den Dritten zum Kanzler zu machen (wie es einst die FPÖ mit Wolfgang Schüssel getan hatte).
Wenngleich rhetorisch weniger gewandt als sein Vorgänger Haider, der Strache als "Kopie" seiner Person verspottete, verstand und versteht es der blaue Obmann, die Partei hinter sich zu einen. Geschickt hat er es auch geschafft, sich im Internet zu positionieren. Kein anderer Politiker setzte derart früh auf eine professionelle Präsenz im sozialen Medium Facebook wie Strache. Mehr als 700.000 Follower, ein reger Austausch in den Kommentarspalten und der Eindruck, hier schreibt der Chef tatsächlich selbst (was Strache neben den von seinen Mitarbeitern verfassten Posts auch tut), schaffen eine gefühlte Nähe zwischen Politiker und Parteigängern.
Strache kann es sich jedenfalls an die Fahnen heften, seine Partei wieder zu alter Größe geführt zu haben. Nahezu bei allen Wahlen auf Bundes- und Landesebene konnte die FPÖ seit Beginn seiner Obmannschaft zulegen. Den bisherigen größten freiheitlichen Erfolg unter seiner Obmannschaft konnte der blaue Frontmann freilich nicht zur Gänze für sich alleine verbuchen: Sein Vize Norbert Hofer sorgte bei der Bundespräsidentschaftswahl im Dezember 2016 mit einem Stimmenanteil von 46,2 Prozent für das Rekord-Ergebnis eines freiheitlichen Kandidaten überhaupt.
Spekulationen, Hofer könnte angesichts seiner Beliebtheitswerte zur internen Gefahr für Strache werden, zerstreute nicht nur Strache selbst. Auch Hofer machte klar, dass er keinerlei Ambitionen hegt, zur Konkurrenz für den ihm auch freundschaftlich verbundenen langjährigen Weggefährten zu werden.
Die kontinuierlich ansteigende Kurve in der Wählergunst war stets begleitet von Straches klar artikuliertem Ziel: Stärkste Kraft auf Bundesebene zu werden und den Kanzler zu stellen. Stets im Blick dabei hatte der wiederverheiratete Vater zweier Kinder ein Feindbild, das schon sein Vorgänger Haider bekämpfte: Die rot-schwarzen Koalition, die es zu "überwinden" gelte - ein Thema, auf das er auch im aktuellen Wahlkampf setzt.
Straches Traum von der Kanzlerschaft könnte freilich einer bleiben. Mit der Übernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz und dessen striktem Migrationskurs geriet die erfolgsverwöhnte blaue Maschinerie ins Stottern, die blauen Kernthemen wurden von anderen besetzt, die Umfrage-Werte sanken abrupt. Stellte Strache im März noch den Führungsanspruch (wenngleich er bereits damals erklärte, er benötige dafür ein "Wunder"), so sprach er zuletzt nur mehr davon, so stark wie möglich zulegen zu wollen. Im Abwehrkampf gegen den Themen-Verlust übte sich Strache fortan darin, sich selbst als "Original", die nach rechts gerückte Konkurrenz hingegen als billige "Kopien" hinzustellen.
Der einstige Umfragen-Kaiser Strache steht aber nicht nur vor dem Problem, dass der erste Platz derzeit für die FPÖ in weiter Ferne zu liegen scheint: Denn selbst wenn sich die Partei am 15. Oktober allen Erwartungen zum Trotz doch ganz vorne wiederfinden würde, so wären vermutlich weder SPÖ noch ÖVP dazu bereit, Strache zum Kanzler zu machen, so die Befürchtungen in der FPÖ. Angesichts dieser Überlegungen setzt der blaue Frontmann auf eine andere Strategie: Das Ziel lautet Regierungsbeteiligung, nicht unbedingt die Kanzlerschaft.
Sichtbar wird das bei den Wahlkampfauftritten Straches. Platz eins als dezidiertes Wahlziel findet sich nicht mehr in seinen Reden und auch der Kanzleranspruch wird nicht mehr gestellt. Vielmehr versucht sich der Parteichef - insbesondere in TV-Konfrontationen - als gereiften Staatsmann zu inszenieren. Das Bemühen um Seriosität wird etwa auch darin sichtbar, dass Strache in diesem Wahlkampf (im Gegensatz zu früher) auf das Einsingen von halblustigen "Wahlkampf-Raps" verzichtet. Wieder abgelegt hat Strache seine markante Brille, die manchen Beobachtern als Versuch galt, Seriosität zu vermitteln.
Betrachtet man Straches politischen Werdegang, so ist dieser Versuch des Image-Wechsels ein recht scharfer. Als junger Mann machte er noch bei "Waldspielen" mit, die an Wehrsportübungen erinnerten. Im Haus von NDP-Gründer Norbert Burger, mit dessen Tochter Strache liiert war, ging der heutige FP-Chef aus und ein. Und noch 2004, bereits als Wiener FPÖ-Obmann, wollte sich Strache mit einem Kontrahenten im Rahmen eines Burschenschafter-Streits duellieren.
Das neue Auftreten ist für den Parteichef allerdings kein völliges Neuland. Bereits im Bundespräsidentschafts-Wahlkampf von Hofer im Jahr 2016 setzte die Partei auf ein staatstragendes Auftreten. Und auch schon davor war Strache um eine Öffnung der Partei bemüht, um breitere Wählerschichten anzusprechen. So entledigte er sich im Laufe der Jahre zahlreicher Rechtsausleger, darunter so prominenter wie Andreas Mölzer, der wegen rassistischer Ausfälle während der EU-Wahl 2014 als Spitzenkandidat gehen musste.
Den Kontakt zum nationalen Flügel pflegte der Ausdauer- und Kraftsportler Strache dennoch weiter. So durfte Mölzer bei der 60-Jahr-Feier der Partei auftreten; auch dem beim politischen Gegner umstrittenen ehemaligen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf hielt Strache die Treue. Und ganz verzichten muss der FPÖ-Chef auf den verbalen Holzhammer dann doch nicht, zumindest bei Parteiveranstaltungen setzt er ihn weiterhin gerne ein. Das blaue Publikum dankt ihm die Rundumschläge - vor allem jene gegen kriminelle Asylwerber und Wirtschaftsflüchtlinge - nach wie vor mit tosendem Applaus.
Privat gibt sich Strache gerne jung geblieben und sportlich, auch wenn er den Versuch, der Zigarette abzuschwören mittlerweile wieder aufgegeben hat: Zu groß sei die Gewichtszunahme gewesen, bedauert der Freund der heimischen Küche. Der mit der deutlich jüngeren Philippa Strache verheiratete Endvierziger gibt - vor allem via Facebook - gerne Einblick in sein Privatleben und scheute auch nicht davor zurück, für Urlaubsgrüße aus Ibiza mit blankem Oberkörper zu posieren. Seine Mitarbeiter beschreiben Strache als harmoniebedürftig und manchmal etwas konfliktscheu, was dieser auch selbst einräumt. Bei härteren internen Differenzen schickt Strache dann auch schon einmal gerne seinen Vertrauten Herbert Kickl voran, wenn es etwa gilt, unangenehme Personal-Entscheidungen zu fällen.
Zur Person: Heinz-Christian Strache, geboren am 12. Juni 1969 in Wien, zwei Kinder aus erster Ehe, verheiratet. Gelernter Zahntechniker. Ab 1991 Mitglied der Bezirksvertretung (Bezirksrat) von Wien-Landstraße, ab 1993 Bezirksparteiobmann der FPÖ Wien-Landstraße, 1996-2006: Wr. Landtags-Abgeordneter, seit 2004 Landesparteiobmann der FPÖ Wien, seit 2005 FPÖ-Bundesparteiobmann, seit 2006 Klubobmann des FPÖ-Parlamentsklubs.