Debatte über Öl- und Gasembargo sowie steigende Energiepreise.
Der russische Angriff auf die Ukraine wird auch den Gipfel der 27 EU-Staats- und Regierungschefs, zu dem auch US-Präsident Joe Biden als Gast geladen ist, am Donnerstag und Freitag in Brüssel dominieren. Diskutiert wird ein fünftes EU-Sanktionspaket, das unter anderem ein Energie-Embargo beinhalten könnte. Allerdings scheint sich bei einigen westlichen EU-Staaten eine gewisse Sanktionsmüdigkeit einzustellen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wird an dem Treffen teilnehmen.
Für eine Rede wird der ukrainische Präsident Wolodymir Selenkskyj per Video zugeschaltet. Die Ukraine hatte im Vorfeld ihre Forderung nach einem kompletten Öl- und Gasembargo gegen den Aggressorstaat Russland bekräftigt. Dazu konnten sich die EU-Staats- und Regierungschefs bisher nicht durchringen. Österreich und Deutschland sind im großen Ausmaß abhängig von russischem Gas. Die EU-Staats-und Regierungschef werden zudem die steigenden Energiepreise ins Visier nehmen. Auch soll der EU-Gipfel den sogenannten Strategischen Kompass, eine Art sicherheits- und verteidigungspolitische Doktrin für die EU, absegnen.
Im Vorhinein meinte Nehammer gegenüber der "Kleinen Zeitung", dass er einen Boykott russischer Öl- und Gaslieferungen für "realitätsfremd und falsch" halte. "Das geht nicht", da Österreich sein Gas zu 80 Prozent aus Russland beziehe. "Allein schon die Diskussion schadet wieder dem Thema und treibt die Energiepreise in die Höhe." Ziel sei es, die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden, so der Kanzler. "Ein sofortiger Verzicht auf russisches Gas ist nicht möglich. Bei Rohöl sehe ich es nicht anders, weil die Botschaft eine falsche ist. Ich kann mir vorstellen, dass die Diskussion heftiger wird, aber ich bin da zurückhaltend. Wir dürfen durch die eine Maßnahme nicht die andere gefährden."
Bisher sei das Ziel, dass "bis 2025 keine Gasthermen mehr eingebaut werden dürfen". Das könne vorgezogen werden. "Wenn ich sage, wir fördern Solar, Wind, Wasser, hat das eine große Dimension, wenn ich in zehn bis 15 Jahren eine sichtbare Unabhängigkeit von russischem Gas anstreben möchte", so Nehammer.
Für den ÖVP-EU-Abgeordneten Lukas Mandl zeigt der russische Angriffskrieg in Europa "jetzt allen die Wichtigkeit und Dringlichkeit unserer sicherheitspolitischen Ambitionen". Er erklärte weiter: "Der Strategische Kompass ein wichtiges Instrument, um die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik voranzutreiben und durch die gegenseitige Vernetzung weiter auszubauen."
"Die Sanktionen zeigen Wirkung, Russlands Wirtschaft ist im Sinkflug und der russische Vormarsch steckt fest", teilte der EU-SPÖ-Abgeordneter Andreas Schieder mit. Der Druck auf Moskau müsse "unbedingt hochgehalten" werden: "Vorrangig ist es dabei, Lücken in den bisherigen Sanktionspaketen zu schließen und die europäische Energieabhängigkeit langfristig zu reduzieren", so Schieder.
Thomas Waitz, EU-Mandatar der Grünen, sagte: "Jeder Euro, den wir in russisches Öl und Gas stecken, fettet Putins Kriegskassen aus und macht uns erpressbar." Er fordert "höhere Ziele im Ausbau für Erneuerbare und Energieeffizienz" sowie "Sanktionen auf verarbeitetes Holz aus Belarus und Russland".
Die NEOS forderten Nehammer vor dem Gipfel, weitere Sanktionen mitzutragen, um den Druck auf Russland maximal zu erhöhen. Alle Oligarchen müssten auf die Sanktionsliste gesetzt und Vermögen eingefroren werden. Andere EU-Länder seien da schon viel aktiver als Österreich, kritisierte NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter. Zudem solle noch in diesem Jahr der Gasverbrauch so weit wie möglich reduziert werden etwa mit kurzfristigen Maßnahmen, wie beispielsweise dem Einführen eines Treuhandkontos als Zahlungsmechanismus oder auch die Einführung von Strafzöllen.
Die Industriellenvereinigung (IV) warnte am Donnerstag vor einem möglichen Aus für die Öl- und Gasversorgung aus Russland. "Den Gashahn von heute auf morgen so stark zu drosseln, hätte katastrophale Auswirkungen auf unser alltägliches Leben, unsere Energieversorgung und unsere Wirtschaft insgesamt. Damit vernichten wir unsere Industrie und Arbeitsplätze", betonte IV-Präsident Georg Knill am Donnerstag in einer Aussendung. Kurzfristig gebe es keine Alternative zum Gas aus Russland, das bleibe "die unbequeme Wahrheit".
Bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen betonte Nehammer gegenüber der Zeitung, dass Österreich "den erstbetroffenen Ländern Polen, Rumänien, der Slowakei und Ungarn" solidarisch zur Seite stehe. "Wir nehmen laufend Vertriebene aus der Ukraine auf, gerade jetzt auch aus Moldau, um direkt zu helfen. Ich bin aber immer vorsichtig mit dem Thema Zwang, denn die Solidarität, die jetzt da ist, kommt von innen heraus", sagte der Kanzler auf die Frage, ob er für eine EU-weite Verteilung dieser Menschen sei.