Wahl-Kommentar

In jedem Fall wählen gehen

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Ex-SPÖ-Klubobmann Josef Cap in seinem Kommentar zum aktuellen Wahlkampf.

Nichtwähler sind in einem gewissen Sinn auch Wähler. Sie sind eine sehr große Gruppe. Die Gründe, nicht zur Wahl zu gehen, sind vielfältig. Ein Teil ist mit seiner Lebenssituation unzufrieden und zieht sich protestierend zurück. Andere wiederum können mit den Personen und Programmen nicht viel anfangen. Kritik am politischen System, manchmal politisches Desinteresse, fallweise auch sprachliches Unverständnis sind weitere Gründe.

Die parlamentarische Demokratie lebt von der aktiven Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Zu leicht kann bei mangelnder Rücksichtnahme auf Unzufriedenheit und Kritik ein Abgleiten in Formen einer autoritären Demokratie erfolgen. Dem gilt es mit aller Macht entgegenzuwirken. Eine treffende Antwort auf die ­„Orbáns“ dieser Welt gibt Macron, der französische Staatschef, wenn er sagt, dass die „Antwort auf die illiberale Faszination nicht die autoritäre Demokratie, sondern die Autorität durch Demokratie ist“.

Eine Möglichkeit ist unter anderem der Ausbau direkt demokratischer Mitbestimmung, wie Volksbegehren und Volksabstimmung. Eine andere ist die Weiterentwicklung der Mitbestimmung durch Vorzugstimmen. Die Grundidee bei der Einführung der Vorzugsstimmen in Österreich war, den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit zu geben, mitzubestimmen, wer tatsächlich in den Nationalrat einzieht. Damit hat Österreich ein Mischsystem aus von den Parteien erstellten Kandidatenlisten und dem Angebot an die Wählerinnen und Wähler, diese durch Vorreihungen in ihrem Sinn zu verändern. 1983 wurde ich so mit 62.457 Vorzugstimmen gewählt.

Auch diesmal kandidiere ich auf einem an sich unwählbaren Platz in meinem Regionalwahlkreis (den Bezirken Ottakring, Hernals, Währing und Döbling) und kann nur mit einer ausreichenden Zahl an Vorzugstimmen wieder in den Nationalrat gewählt werden. Ungefähr jeder 7. SPÖ-Wähler müsste dafür meinen Namen im Regionalwahlkreisteil des Stimmzettels ankreuzen.

Die Vorzugsstimme anzuwenden ist aus meiner Sicht auch ein Angebot an potenzielle Nichtwähler. Die Stimme für einen Kandidaten kann durchaus Programmatik und politische Vorstellungen einer Partei bereichern. Dies erfüllt auch die politische Strategie Kreiskys, Wähler zumindest für ein Stück des Weges zu gewinnen.

Demokratie ist eine Errungenschaft, die es immer wieder zu verteidigen, aber auch weiterzuentwickeln gilt. Die Erkenntnis nach zwei Weltkriegen aber auch Diktaturen ist, dass sie die einzige Form des verbindenden, hassfreien Interessenausgleichs ist. So schwierig, so widersprüchlich sie auch manchmal sein mag. Es gibt zu ihr keine Alternative, die ein friedliches Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft garantiert. Dazu gehört auch eine vernünftige Gesprächskultur zwischen den Parteien, ungeachtet aller inhaltlichen Unterschiede. Dafür möchte ich mich einsetzen.

 

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