Rücktrittsforderungen der Opposition wegen illegal abgehörter Politikertreffen.
Ein "Weichselgate" erschüttert Polen. Illegal abgehörte Politikertreffen - das gehörte für die meisten zu Politdramen auf der Leinwand. Nun muss sich Regierungschef Donald Tusk fragen: Was gab es noch (ab-)zuhören?
"Anschlag auf den Staat" titelte das polnische Nachrichtenmagazin "Wprost". Ähnlich sah es Regierungschef Donald Tusk in seiner ersten Stellungnahme: "Das ist der erste Versuch seit 1989, mit illegalen Methoden die Regierung zu stürzen." Was war passiert? Das Magazin hatte am Montag die Abschriften von zwei abgehörten Politikertreffen abgedruckt.
Brisante Gespräche wurden abgehört und publik
Bei einem der Gespräche wollte der mittlerweile geschasste Transportminister eine Steuerprüfung bei seiner Ehefrau abwenden. Bei dem anderen Treffen führten Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz und Nationalbankchef Marek Belka ein stellenweise markiges Gespräch über mögliche Unterstützung für den defizitären Staatshaushalt. Dabei machte Belka Hilfe von der Entlassung des damaligen Finanzministers Jacek Rostowski abhängig.
Prompt wurden von der rechten wie der linken Opposition in Polen Rücktrittsforderungen laut: gegen Sienkiewicz wegen unzulässiger politischer Absprachen, gegen die gesamte Regierung, und auch Belka sei nicht länger tragbar. "Ich habe keine Absicht, zurückzutreten", versicherte Belka, der am Dienstagmorgen auch mit Staatspräsident Bronislaw Komorowski über die Affäre sprach.
Dann ging er zu einem - bereits seit längerem feststehenden - Treffen mit dem Rat für Geldpolitik. Es dürfte ein unangenehmes Treffen für Belka gewesen sein, hatte er das Gremium in dem abgehörten Gespräch doch als "Scheiß-Finanzrat" bezeichnet.
Wesentlich schwerer als diese Beleidigung wiegt jedoch, dass der Chef der Nationalbank unabhängig von der Regierung agieren muss. Leszek Balcerowicz, Belkas Vorgänger als Nationalbankchef und ehemaliger Finanzminister, rief den Kollegen daher zum Rücktritt auf. "Ich meine, wir haben es hier mit dem Versuch eines politischen Handels zu tun", sagte er in einem Interview der Zeitung "Rzeczpospolita". Auch Innenminister Sienkiewicz kritisierte er auf Twitter scharf: "Ist das nicht eine Bedrohung für den Staat?"
Abhöraffäre überschattete Kabinettssitzung
Die Abhöraffäre überschattete am Dienstag auch die Kabinettssitzung der Regierung, auf der es ausgerechnet um Änderungen des Gesetzes über die Nationalbank ging. Die Grundzüge des Gesetzes, so beeilte sich Tusk zu versichern, seien bereits festgelegt worden, ehe es im vergangenen Sommer zu dem abgehörten Treffen von Sienkiewicz mit Belka gekommen sei.
Noch steht Tusk hinter seinem in die Schlagzeilen geratenen Minister. Sienkiewicz selbst sieht seine Position alles andere als gesichert. "Ich habe keine politische Zukunft mehr vor mir", gestand er am Montagabend zerknirscht ein. Doch bevor seine Zeit vorüber ist, will er noch zur Aufklärung der Affäre beitragen. "Das ist jetzt meine letzte Aufgabe", sagte Sienkiewicz.
Der nationalkonservative Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski will nicht so lange warten. "Diese Regierung muss abtreten", sagte er am Dienstag. Er habe Komorowski daher in einem Brief aufgefordert, "seine Pflicht zu erfüllen und den Abgang der Regierung zu verlangen".
Tusks Festhalten an dem Minister wurde am Dienstag in Kommentaren als das "kleinere Übel" interpretiert. Denn seine Loyalität zu Sienkiewicz könnte Tusk vor einer Entlassungswelle bewahren, sollten - wie behauptet - noch andere Aufnahmen abgehörter Politikergespräche existieren. Mitschnitte soll es unter anderem von Elzbieta Bienkowska, der Stellvertreterin Tusks und Ministerin für Infrastruktur, und Pawel Gras, dem langjährigen Regierungssprecher und Generalsekretär von Tusks liberalkonservativer Bürgerplattform (PO), geben.
Sollten auch diese engen Vertrauenspersonen Tusks durch illegale Aufnahmen kompromittiert sein, könnte es für den polnischen Regierungschef in der "Weichselgate"-Affäre eng werden.