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Schrieb auch "profil"-Geschichte

Betrug aufgeflogen: "Spiegel"-Journalist fälschte Geschichten

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Redakteur Claas Relotius habe "in großem Umfang" manipuliert - "Spiegel" prüft Texte - Schrieb auch für internationale Medien.

Das renommierte deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat einen Betrugsfall im eigenen Haus aufgedeckt: Der mehrfach preisgekrönte Redakteur Claas Relotius habe in "großem Umfang seine eigenen Geschichten gefälscht und Protagonisten erfunden", heißt es in einem auf Spiegel Online am Mittwoch veröffentlichten Bericht. Der 33-Jährige galt als ein Superstar unter den Nachwuchsjournalisten.

Aufgedeckt worden sei der Fall nach internen Hinweisen und eigenen Recherchen. Der Redakteur hat die Vorwürfe laut "Spiegel" bestätigt. Er habe sein Büro am Sonntag geräumt und seinen Vertrag am Montag gekündigt.

 

Seit eineinhalb Jahren fix angestellt

Der Journalist schrieb zunächst als freier Mitarbeiter für den "Spiegel", seit eineinhalb Jahren war er als Redakteur fest angestellt. Von ihm sind dem "Spiegel" zufolge seit 2011 knapp 60 Texte im Heft und bei Spiegel Online erschienen.

Erste Verdachtsmomente hatte es laut "Spiegel" nach einem im November 2018 veröffentlichten Text über eine Bürgerwehr in Arizona gegeben. Ein Reporterkollege, der die Geschichte zusammen mit Relotius recherchiert habe, sei misstrauisch geworden und habe Bedenken geäußert, schreibt der "Spiegel". Ihm sei es gelungen, Material gegen den Kollegen zu sammeln.

Nach anfänglichem Leugnen, so Spiegel Online, habe Relotius zugegeben, dass er viele Passagen nicht nur in dem einen Text, sondern auch in anderen erfunden habe. Auch sei er Protagonisten, die er in seinen Storys zitiert habe, nicht begegnet. Schließlich habe er in mehreren Fällen eingeräumt, Geschichten erfunden oder Fakten verzerrt zu haben. Seinen eigenen Angaben zufolge sind mindestens 14 Geschichten betroffen und zumindest in Teilen gefälscht.

 

"Tiefpunkt" in 70-jähriger Geschichte

Der "Spiegel" selbst schrieb in seinem am Mittwoch veröffentlichen Beitrag von einem "Tiefpunkt" seiner 70-jährigen Geschichte. "Die selbst gesteckten Ziele wurden verfehlt, eigene Ansprüche weit unterboten, alte Werte verletzt, wie oft genau und in welchen Weisen, wird noch zu ermitteln sein." Der "Spiegel" bittet um Entschuldigung.

Relotius selbst hat sich noch nicht öffentlich dazu geäußert. Die "Presse" berichtete, dass am Mittwoch auf Twitter ein Profil des Redakteurs Claas Relotius auftauchte, von dem zwei Tweets abgesetzt wurden. Das erste hieß: "Fleischauer hat mir geholfen". Jan Fleischauer ist Kolumnist im "Spiegel". Das zweite Tweet lautete: "Bei 10.000 Followern packe ich aus, wer sonst noch aller getürkt hat." Der Account war kurz darauf wieder gelöscht.

Vor seiner Zeit beim "Spiegel" hatte Relotius für mehrere andere Medien gearbeitet. Er publizierte auch in "Cicero", in der "Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag", der "Financial Times Deutschland", der "taz", der "Welt", in der Deutschen Presse Agentur (dpa), im SZ-Magazin, in der "Weltwoche", auf Zeit Online, in "Zeit Wissen und in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Laut einer biografischen Selbstauskunft schrieb Relotius auch für den britischen "Guardian". Im Archiv des "Spiegel" findet sich jedoch nach Angaben des Magazins dafür kein Beleg.

Er wurde zudem mehrfach mit prestigeträchtigen Preisen ausgezeichnet. Er erhielt vier deutsche Reporterpreise, den Peter-Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Den österreichischen Zeitschriftenpreis für Jungjournalisten erhielt Relotius für eine "profil"-Geschichte. Der US-Sender CNN machte ihn zum "Journalist of the Year", geehrt wurde er auch mit dem Reemtsma Liberty Award, dem European Press Prize und er landete auf der "Forbes"-Liste der "30 under 30 - Europe:Media".

 

Journalisten: "Glaubwürdigkeit in Dreck gezogen"

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat mit Betroffenheit auf den Betrugsfall beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" reagiert. "Der vermeintliche Reporter hat nicht nur dem 'Spiegel' großen Schaden zugefügt, sondern die Glaubwürdigkeit des Journalismus in den Dreck gezogen", sagte DJV-Vorsitzender Frank Überall am Mittwoch laut Mitteilung.
 
Dem Journalisten habe offensichtlich jegliches Verantwortungsgefühl für sein Blatt und die Leser gefehlt. Spiegel Online hatte am Mittwoch über einen Redakteur berichtet, der mehrere Geschichten im Blatt gefälscht hatte und mittlerweile nicht mehr für den Verlag arbeitet.
 
Als positiv hebt der DJV-Vorsitzende die Informationsoffensive des "Spiegel"-Chefredakteurs hervor: "Ullrich Fichtner macht die unglaublichen Vorgänge öffentlich. Das ist ein wichtiger erster Schritt", so Überall. In der Folge komme es darauf an, die interne Qualitätssicherung journalistischer Arbeit auf den Prüfstand zu stellen.
 
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) twitterte: "Das dürfte der größte Betrugsskandal im Journalismus seit den Hitlertagebüchern sein." Der Deutsche Reporterpreis teilte mit: "Wir sind entsetzt und wütend über die geradezu kriminelle Energie", mit der der ehemalige "Spiegel"-Redakteur auch die Organisatoren des Preises sowie die Juroren, die ihm diese Auszeichnung verliehen haben, getäuscht habe. Die Jury berate nun über eine Aberkennung.
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