Vier Tage vor dem Brexit-Datum lässt die EU die Briten weiterhin zappeln.
Die von Premierministerin Theresa May beantragte Verschiebung des Austrittsdatum werde es nicht automatisch geben, betonten mehrere Spitzenpolitiker der EU-Staaten am Dienstag. Großbritannien müsse eine "substanzielle Begründung" liefern, sagte EU-Minister Gernot Blümel nach Beratungen in Luxemburg.
Französische Europaministerin De Montchalin: "Keine automatische Fristverlängerung"
Es werde keine automatische Fristverlängerung geben, unterstrich die französische Europaministerin Amelie de Montchalin mit Blick auf den EU-Sondergipfel am Mittwoch. Es sei wichtig, dass Großbritannien einen "glaubwürdigen Plan" vorlege, was in der zusätzlichen Zeit passiere, sagte sie in Luxemburg. "Wir erwarten jetzt endlich substanzielle Schritte, bisher hat sich überhaupt nichts geändert", sagte auch der deutsche Europa-Staatssekretär Michael Roth. Ähnlich äußerte sich auch der irische Außenminister Simon Coveney. Er hoffe, dass es bis zum Gipfel einen Plan gebe. Einzig der luxemburgische Chefdiplomat Jean Asselborn legte sich fest. "Sicherlich nicht" werde es am Freitag einen Hard Brexit geben, sagte er.
May-Telefonat mit Bundeskanzler Kurz am Montagabend
May traf indes in Berlin mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zusammen, um für eine Brexit-Verschiebung zu werben. Am Abend wollte sie in Paris auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron treffen. Bereits am Montagabend hatte May mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) telefoniert. Wie es aus dem Kanzleramt hieß, sei vor allem die Vermeidung eines Hard Brexit erörtert worden. Kurz habe dabei seine drei Prioritäten - Wahrung der Einheit der EU-27, Vermeidung eines "Hard Brexit" und Nicht-Teilnahme der Briten an der Europawahl - bekräftigt. Für eine Fristverlängerung bedürfe es eines konkreten Plans der Briten.
Nachdem ihr mit der EU ausverhandelter Austrittsdeal vom Unterhaus drei Mal abgelehnt worden war, hatte May in der Vorwoche Verhandlungen mit der Opposition aufgenommen. Diese fordert aber, dass Großbritannien mit der EU in einer dauerhaften Zollunion verbunden bleibt, was für die regierenden Konservativen in den Verhandlungen mit Brüssel ein rotes Tuch gewesen war.
Macron will keinen Aufschub über 2019 hinaus
Der französische Präsident Emmanuel Macron will Diplomatenangaben zufolge keine Brexit-Verschiebung ins kommende Jahr akzeptieren. Wie das Onlineportal Buzzfeed am Dienstag berichtet, soll eine Verlängerung des Austritts höchstens bis Jahresende möglich sein.
Macron für Überprüfungen alle drei Monate
Macron sei zudem für Überprüfungen alle drei Monate. Damit solle sichergestellt werden, dass das Vereinigte Königreich die EU-Geschäfte nicht lahmlegt. Die EU-27 befürchten, dass Großbritannien - insbesondere unter einer von Brexit-Hardlinern gestellten Regierung - die bevorstehenden großen Entscheidungen in der Europäischen Union, etwa über das Mehrjahresbudget ab 2021, blockieren könnte.
Nach einem Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs scheidet Großbritannien an diesem Freitag aus der Europäischen Union aus, es sei denn, bis dahin wird der schon drei Mal im Unterhaus abgelehnte Austrittsdeal doch noch angenommen. In diesem Fall erfolgt der Austritt am 22. Mai. May hat eine Verschiebung des Austritts bis Ende Juni beantragt. Am morgigen Mittwoch beraten die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel über das weitere Vorgehen.
Verlängerung müsse "im Verhältnis zum Ziel stehen"
EU-Chefverhandler Michel Barnier betonte nach Gesprächen mit den Europaministern der EU-27, dass eine mögliche Verlängerung "im Verhältnis zum Ziel stehen" und dem "Ziel nützlich" sein müsse. Die EU wünsche weiterhin einen geordneten EU-Austritt Londons. "Ein No Deal wird niemals die Entscheidung der EU sein", betonte er. May müsse aber beim EU-Sondergipfel am Mittwoch sagen, wie es weitergehe. Der französische Ex-Außenminister äußerte die Hoffnung, dass durch die Verhandlungen zwischen May und Labour nun "endlich eine positive Mehrheit für ein Austrittsabkommen" erzielt werden könne.
Barnier bekräftigte, dass die EU den Austrittsvertrag nicht mehr aufmachen werde. Die - völkerrechtlich nicht verbindliche - politische Erklärung könne dagegen verbessert werden. So könne die EU mit Großbritannien "eine wirkliche Zollunion" vereinbaren, wenn London dies wünsche. Dazu müssten aber die EU-Grundsätze, insbesondere die vier Grundfreiheiten der Europäischen Union geachtet werden.
"Das Austrittsabkommen gilt"
Die Fraktionschefin der britischen Konservativen im Unterhaus, Andrea Leadsom, appellierte indes an Merkel, den Austrittsvertrag wieder aufzuschnüren, damit er das Parlament in London passieren könne. Ein Regierungssprecher in Berlin dementierte umgehend britische Medienberichte, wonach Merkel im Streit um den irischen "Backstop" zu einer fünfjährigen Befristung bereit wäre. "Diese Meldungen entbehren jeglicher Grundlage. Das Austrittsabkommen gilt", sagte er.
Spekulationen über zweites Referendum
In London wurde indes über ein mögliches zweites Referendum spekuliert. May könnte Labour ein entsprechendes Angebot machen, um das Patt zu durchbrechen, berichtete der "Telegraph" (Dienstagsausgabe). Justizminister David Gauke dementierte dies jedoch. May habe immer klar gemacht, dass sie kein Referendum über den Brexit-Deal wolle, sagte er dem Sender Sky News. Es sei aber "äußerst wahrscheinlich", dass im Parlament ein entsprechender Änderungsvorschlag eingebracht werde.
Fortsetzung der Verhandlungen am Dienstag
In den Verhandlungen zwischen den Konservativen und Labour gab es bisher keine substanziellen Fortschritte. Labour kritisierte, dass die Regierung auf ihrer Meinung beharre und sich nicht bewege. Am Dienstag sollten die Gespräche fortgesetzt werden, doch wurde in Abwesenheit Mays kein Durchbruch erwartet. Zu den Teilnehmern gehörten Vizepremier David Lidington und Finanzminister Philip Hammond. Beide gelten als EU-freundlich. Labour schickte unter anderem den Brexit-Experten Keir Starmer an den Verhandlungstisch.
Die EU-Kommission setzte indes ihre Informationsserie über die Lage nach einem möglichen No Deal fort. Sozialkommissarin Marianne Thyssen sagte vor Journalisten in Brüssel, dass es für die britischen Bürger in den EU-Staaten einen Mindestschutz geben werde, man aber keine Wechselseitigkeit für die EU-Bürger im Vereinigten Königreich garantieren könne. Konkret gehe es um die Bereiche Freizügigkeit, medizinische Versorgung und soziale Sicherheit. Die Notfallmaßnahmen würden aber nicht für Touristen greifen. Für Fragen sei die kostenlose Telefonnummer 00 800 6789 1011 eingerichtet worden.
Blümel will "substanzielle Begründung" von London
Großbritannien muss für eine Verlängerung der Brexit-Frist eine "substanzielle Begründung" liefern. Dies verlangte EU-Minister Gernot Blümel am Dienstag in Luxemburg. Alle EU-Mitgliedstaaten hätten ähnliche Prioritäten, nämlich die Einheit der EU-27 zu wahren und einen "harten Brexit" zu verhindern, sagte Blümel nach Beratungen mit dem EU-Chefverhandler Michel Barnier.
Die aktuelle Beschlusslage sei, dass Großbritannien Ende dieser Woche aus der EU ausscheiden würde. "Das gilt derzeit", so Blümel. Wenn sich daran etwas ändern sollte, müsste es eine substanzielle Begründung geben, die derzeit noch nicht vorliege. "Falls nicht, steht der harte Brexit im Raum", sagte Blümel.
Der EU-Minister glaubt nicht, dass ein einzelnes EU-Mitgliedsland eine Entscheidung beim Gipfel blockieren würde. Es gebe von allen das Bemühen, die Einheit der EU-27 aufrecht zu halten.
Blümel würde ein Verbleiben Großbritanniens in einer Zollunion mit der EU begrüßen. Die EU habe immer betont: Je näher das künftige Verhältnis, desto besser, sagte er. Die EU hätte Großbritannien auch gerne in der Zollunion belassen, doch hätten dies die Briten nicht gewollt. Wenn jetzt zwischen Regierung und Opposition Einigkeit über eine Zollunion bestünde, wäre dies ein Weg, den die EU diskutieren würde.