An der stark bewachten Grenzregion zwischen Nord- und Südkorea stehen sich Soldaten beider Länder teilweise direkt gegenüber.
Wenige Meter entfernt liegt Nordkorea. Nur ein paar Schritte bis zur Grenze der Diktatur, keine Mauer, kein Zaun. Nur ein schmaler Streifen ist dort auf dem Boden, hinter dem das Land beginnt, das so von der Welt abgeschottet ist wie wohl kein anderes. "Der furchteinflößendste Ort der Welt", so soll der ehemalige US-Präsident Bill Clinton die sogenannte Joint Security Area einst beschrieben haben. Verständlich: Denn dort, in Panmunjom, stehen sich Truppen Nord- und Südkoreas fast Gesicht an Gesicht gegenüber. Die feindliche Seite ist zum Greifen nah. Und doch - oder gerade deswegen - ist die Demilitarisierte Zone in Südkorea eine beliebte Touristenattraktion.
Der Bus fährt etwa eine Stunde aus der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, bis Stacheldraht und bewaffnete Soldaten die Straße versperren. Ein US-Soldat steigt in den Wagen, um die Pässe zu kontrollieren. Eine Sonnenbrille verdeckt seine Augen, das Gesicht zeigt keine Regung, im Bus ist es still. Ab diesem Moment befinden sich die Besucher in der Demilitarisierten Zone, kurz DMZ. Das ist die Grenzregion zwischen Nord- und Südkorea. Ein rund vier Kilometer breiter Streifen Niemandsland, der die Koreanische Halbinsel in zwei Teile schneidet und als eine der am besten bewachten Grenzen der Welt gilt.
Besucher müssen gleich zu Beginn der Tour ein Formular unterschreiben. Dies sei eine "hostile area", Feindgebiet, heißt es darin und es bestehe das Risiko, sich zu verletzen oder zu sterben. Der Besuch geschehe auf eigene Gefahr. Alle Besucher unterschreiben. Gefreiter Pauley, ein junger US-Soldat Mitte 20, erklärt einige Regeln und betont: Wenn man in der DMZ unterwegs sei, dürfe man nicht einfach mit dem Finger auf etwas zeigen. Das könnten die Nordkoreaner als feindliche Aktion werten. "Nur ich darf mit dem Finger zeigen", sagt er. "Das heißt: "Erschießt mich zuerst!"" Mit dieser Mischung aus Coolness und sarkastischem Humor wird er die Besucher in den kommenden eineinhalb Stunden begleiten.
Zuerst geht es nach Panmunjom, der sogenannten "gemeinsamen Sicherheitszone". An diesem Ort wurde über ein Ende des Koreakrieges verhandelt und 1953 ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Für Besucher ist es aber aus anderem Grund ein Highlight: Dieser Teil der Grenze ist quasi offen, Soldaten beider Seiten stehen sich direkt gegenüber. Näher kommt man an Nordkorea sonst nicht so ohne weiteres heran.
"Stellt euch in einer geraden Linie auf", ordnet Pauley an. "Nach Norden dürft ihr alles fotografieren, was ihr wollt. Nur zur südkoreanischen Seite ist das nicht erlaubt." Was für ein seltsames Gefühl, Nordkorea so nah zu kommen! Denn so faszinierend es ist, ohne Mauer und Stacheldraht hinüber zu blicken, so beunruhigend ist es auch.
Auf nordkoreanischer Seite führen breite Treppen zu einem mehrstöckigen Gebäude. Vor allen Fenstern hängen Gardinen. Zu sehen ist nicht viel. Nur hin und wieder scheint sich im ersten Stock ein Vorhang etwas zu bewegen, fast so wie in einem alten Spionagefilm. "Die machen Fotos von allen, die hier auf der südkoreanischen Seite auftauchen", sagt Gefreiter Pauley. "Die haben bestimmt schon Tausende von mir; ich bin ein berühmter Mann in Nordkorea", schiebt er routiniert hinterher. "Jetzt haben sie sicher auch schon ein paar Bilder von euch."
Zur gemeinsamen Sicherheitszone, auf Englisch "Joint Security Area", gehören auch drei hellblaue Holzbaracken. Sie stehen mitten auf der Grenze und können sowohl von nord- als auch von südkoreanischer Seite betreten werden. Sie dienen als neutraler Raum für Absprachen und Verhandlungen beider Länder. Normalerweise können Besucher auch eine dieser Hütten besichtigen und so die gegnerische Seite zumindest geografisch betreten. Touristen, die das erlebt haben, berichten oft von einem beklemmenden Gefühl, wenn ein nordkoreanischer Soldat durchs Fenster schaut. Doch so viel Nervenkitzel gibt es heute nicht. Denn die Baracken werden frisch gestrichen und sind daher für Besucher gesperrt.
Die DMZ gibt es seit Ende des Koreakrieges. Der forderte zwischen 1950 und 1953 fast vier Millionen Menschenleben. Danach wurde das Land geteilt, Millionen Familien wurden auseinandergerissen. Während die Menschen in Südkorea in einer wohlhabenden Demokratie leben, ist die Bevölkerung im kommunistischen Nordkorea bitterarm. Amnesty International berichtet in einem Report 2012 von einer "verheerenden Menschenrechtslage". Sechs Millionen Menschen seien dringend auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.
Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un erklärte zwar vor kurzem, er wolle die Konfrontation zwischen dem Norden und dem Süden beenden. Doch ob das wirklich passiert, ist fraglich. Stattdessen hält der Sohn des 2011 gestorbenen Diktators Kim Jong-il am militärischen Konfrontationskurs seiner Vorgänger fest. Mit seinen Plänen für weitere Atomtests provoziert er nicht nur Südkorea, sondern auch dessen Verbündeten, die USA. Die DMZ wird auch von zahlreichen US-Soldaten bewacht, die Teil der UN-Truppen sind.
Einer von ihnen ist Gefreiter Pauley, in der DMZ unter anderem für Besuchergruppen zuständig. Die führt er nun aus Panmunjom heraus und zu einem Aussichtspunkt. In der Entfernung sind zwei Dörfer zu sehen, auf jeder Seite der Grenze eines. Denn auch wenn die DMZ ein militärisch abgeriegeltes Gebiet ist, so leben hier weiterhin einige wenige Menschen.
Das südkoreanische Dorf Daeseong-dong wird auch "Freiheitsdorf" genannt, wie Pauley berichtet. "Dort wohnen mehrere Familien." Ausländische Tour-Besucher sind dort nicht erlaubt, doch Pauley erzählt: "Die Einwohner leben vor allem von der Landwirtschaft. Sie müssen immer genau anmelden, wann sie auf welchem Feld sein werden, damit sie von Soldaten beschützt werden können." Für die Kinder gebe es eine eigene Schule, nach Einbruch der Dunkelheit dürfe keiner die Häuser verlassen.
Auch in der nordkoreanischen DMZ gibt es einen kleinen Ort: Kijong-dong oder "Friedensdorf". Die Häuser sind von südkoreanischer Seite mit bloßem Auge zu erkennen. Doch was sich hinter den Fassaden verbirgt, war immer wieder Anlass für Spekulationen. Denn dass dort tatsächlich Menschen leben, bezweifeln nicht nur Soldaten wie Pauley. "Das sind keine richtigen Häuser, sondern nur leere Attrappen", sagt er. "Das ist ein Propagandadorf."
Wirklich echt - und auch aus der Distanz klar zu erkennen - sind dagegen die beiden Fahnenmasten der beiden Dörfer. "Erst gab es den Mast auf südkoreanischer Seite, doch das gefiel den Nordkoreanern nicht, und sie haben einen viel höheren errichtet", sagt Pauley. Der über dem "Propagandadorf" sei nun 160 Meter hoch und einer der höchsten Flaggenmaste der Welt. Und: "Die Fahne ist so groß und mit 270 Kilogramm so schwer, dass man sechs Menschen braucht, um sie zu hissen." Unter der Soldaten der südkoreanischen Seite kursiere daher seit längerem ein Witz: Wer es schafft, die Fahne vom nordkoreanischen Mast zu stehlen, erhalte eine Million Dollar.
Nach einem kurzen Halt in einem Souvenirladen, wo es unter anderem nordkoreanischen Schnaps und Brandy, Stücke des Stacheldrahtzauns und Münzen aus Nordkorea zu kaufen gibt, verabschiedet sich Gefreiter Pauley von der Gruppe. Nun übernimmt Fremdenführer Ho Ki Heon, der sich für Touristen einfach "Lupy" nennt, den Rest der Tour. Der 30-jährige Südkoreaner war schon Hunderte Male in der DMZ, und doch berührt es ihn persönlich. Immerhin ist seine eigene Familie von der Teilung des Landes betroffen, wie er später erzählen wird. "Mein Großvater väterlicherseits kommt aus Nordkorea. Eines Tages ging er zum Arbeiten nach Seoul und sagte seiner Mutter "Ich komme in ein paar Monaten zurück". Doch dann brach der Krieg aus und er sah seine Familie nie wieder."
Lupy führt die Besucher zum "Tunnel of Aggression". Das ist einer der vier Tunnel, den Südkorea vor Jahren unter der Grenze entdeckt hat. "Man schätzt, dass etwa 30 000 nordkoreanische Soldaten innerhalb einer Stunde durch den Tunnel hätten kommen können", sagt der Guide. Besonders brisant: Seoul ist nur etwa 50 Kilometer entfernt. Heute blockieren dicke Betonblöcke und -wände im Tunnel den Weg. Für Besucher von Süden aus ist er dennoch teilweise geöffnet.
Mit einem grellgelben Sicherheitshelm auf dem Kopf steigen sie in den feuchten, dunklen Tunnel hinab. Von den Wänden tropft das Wasser, der Boden ist steinig und uneben, die Decke kaum mehr als 1,60 Meter hoch - Kopf einziehen ist angesagt. "Die Nordkoreaner haben zuerst behauptet, dass sie den Tunnel nicht gebaut haben", berichtet Lupy. "Doch schaut euch diese länglichen Löcher in den Wänden an: Daran ist deutlich zu erkennen, dass die Dynamitstangen von Nord nach Süd ins Gestein gesteckt wurden."
Dass Nord- und Südkorea aber trotz aller Feindschaft auch Geschäftsbeziehungen unterhalten, zeigt sich beim nächsten Stopp, dem "Dora Observatory". Von dieser Aussichtsplattform kann man einmal mehr nach Nordkorea blicken - und erkennt eine lange Lkw-Kolonne, die Richtung Süden fährt. "Die kommen vom Kaesong Industrial Complex, einem Industriegebiet innerhalb der DMZ", erklärt Lupy. Mehrere zehntausend Nordkoreaner arbeiten dort für mehr als 100 südkoreanische Firmen . "Sie stellen meist einfache Dinge wie Schuhe, Uhren, Kleidung oder kleine Teile für technische Geräte her." Die südkoreanischen Firmen profitierten dabei von den geringen Löhnen, die nordkoreanischen Arbeiter von einem verhältnismäßig guten Einkommen.
Letzter Halt in der DMZ ist die Bahnstation Dorasan, ein fast menschenleerer Geisterbahnhof. Seine moderne Glasfassade glänzt im Sonnenlicht. Innen, in der von Soldaten bewachten Eingangshalle, hängt eine Anzeigentafel mit der Aufschrift "Nach Pjöngjang". "Von hier aus fahren zwar keine Züge nach Nordkorea", sagt Lupy. "Aber der Bahnhof hat symbolische Bedeutung für uns - sollte die Grenze irgendwann geöffnet werden, könnten wir in kürzester Zeit bei unseren Familien sein."