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Neue Flüchtlingswelle

Erdogan: 'Wir wollen die Milliarde Euro nicht mehr'

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Der türkische Präsident fordert von Europa eine 'Lastenteilung' bei Flüchtlingen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat in einem Telefonat mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel eine "Lastenteilung" in der aktuellen Flüchtlingskrise gefordert. Wie die türkische Präsidentschaft am Montagabend mitteilte, forderte Erdogan eine "gerechte Aufteilung der Last und der Verantwortung gegenüber Migranten" zwischen der EU und der Türkei.
 
Am Samstag hatte die Türkei ihre Grenzen zur EU für Flüchtlinge geöffnet; seither versuchten Tausende Menschen, die türkisch-griechische Grenze zu überqueren. Am Montagabend scheiterte eine Vermittlungsaktion des bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow, der Erdogan in Ankara zu einem Sondertreffen überreden wollte. - "Wir wollen das Geld der Europäischen Union nicht mehr", sagte Erdogan. "Wir wollen die angebotene eine Milliarde Euro nicht mehr, denn niemand hat das Recht, die Türkei zu erniedrigen."
 

Diplomatische Bemühungen

Borissow hatte ein Sondertreffen mit Erdogan, dem griechischen Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis und der EU-Spitze vorgeschlagen und Sofia als Austragungsort angeboten. Am Dienstag reisen die EU-Spitzen, angeführt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in den griechischen Grenzort Orestiada, um sich ein Bild von der Lage zu machen.
 
Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) besucht am Dienstag das Land an der EU-Außengrenze. Er trifft in Athen mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Dendias sowie Migrationsminister Notis Mitarakis zusammen. Österreich hat Unterstützung beim Grenzschutz, aber auch Mittel aus dem Auslandskatastrophenfonds für "wirksame Hilfe vor Ort" in Aussicht gestellt. Konkrete Beschlüsse sollen am Dienstagvormittag bei einer Arbeitssitzung der Regierungsspitze mit den ÖVP-Ministern für Äußeres, Inneres und Verteidigung getroffen werden.
 

Wirbel um angebliche Tote

Erdogan griff die griechischen Sicherheitskräfte nach dem Treffen mit Borissow scharf an und beschuldigte sie, für den Tod von zwei Migranten an der Grenze verantwortlich zu sein. Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas wies diese Vorwürfe umgehend als "Fake News" zurück.
 
Erdogan hatte am Samstag angekündigt, Flüchtlinge mit dem Ziel EU die türkischen Grenzen passieren zu lassen. Er begründete sein Vorgehen damit, dass die EU sich nicht an den im März 2016 geschlossenen Flüchtlingspakt halte.
 
Seither versuchten Tausende Flüchtlinge, über die türkisch-griechische Grenze in die EU zu gelangen. Griechische Grenzschützer hielten am Wochenende etwa 10.000 Menschen vom Grenzübertritt ab. Am Montag drohte Erdogan, die Grenzen blieben weiter offen. Es sei nun an der EU, ihren "Teil der Last" in der Flüchtlingskrise zu tragen.
 

"Inakzeptabel"

Merkel hatte die türkische Grenzöffnung am Montag in Berlin "inakzeptabel" genannt. Es sei zwar verständlich, dass die Regierung in Ankara mehr Unterstützung von der EU erwarte, sagte die Kanzlerin. Es sei aber "völlig inakzeptabel", dass dies "auf dem Rücken der Flüchtlinge" ausgetragen werde. In der Türkei leben Millionen Flüchtlinge, darunter 3,6 Millionen Syrer.
 
Der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus, ein Mit-Entwickler des EU-Türkei-Abkommens, warnte wegen der Krise vor einem Zerbrechen der Genfer Flüchtlingskonvention gewarnt. Knaus übte zugleich am Montagabend in der "ZIB2" scharfe Kritik am "Versagen der europäischen Eliten". Die EU müsste nach Worten von Knaus sofort versuchen, was die Merkel bereits im Hintergrund getan habe, nämlich klare Zusagen abgeben, dass man sich an finanzielle Verpflichtungen gegenüber der Türkei hält.
 
"Hier steht die Flüchtlingskonvention und das internationale Flüchtlingsregime insgesamt auf dem Spiel", so der Migrationsexperte. "Wenn wir nichts tun, zerbricht diese Konvention im Jahr 2020 vor unseren Augen, die wir 1951 aus den Lehren des Zweiten Weltkriegs kommend ratifiziert haben. Dann ist dies das Ende einer noblen Geschichte, das unwürdig durch Scheitern und Versagen der europäischen Eliten zu Ende geht."
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