Knapp 80.000 warten auf Westbalkanroute - Ärzte ohne Grenzen warnt: Entwürdigende Zustände in Libyen.
Die Zahl der nach Europa strebenden Flüchtlinge hat in den Staaten südlich und östlich des Mittelmeers seit Jahresbeginn deutlich zugenommen. Das berichtete die "Bild"-Zeitung am Dienstag unter Berufung auf ein als "vertraulich" eingestuftes Papier ("VS-NfD") der deutschen Sicherheitsbehörden.
6,6 Millionen wollen nach Europa
Demnach warten in den Staaten Nordafrikas, in Jordanien und der Türkei bis zu 6,6 Millionen Flüchtlinge auf eine Weiterreise (Stand: Ende April 2017). Ende Jänner waren es den Angaben zufolge 5,95 Millionen, was einem Anstieg bis Ende April um knapp zwölf Prozent entspricht.
Ärzte ohne Grenzen (MSF) warnte dringend davor, Menschen, die auf Booten im Mittelmeer aufgegriffen werden, nach Libyen zurückzuschicken. Die Zustände für Schutzsuchende in den libyschen Internierungslagern seien entwürdigend. Keines der besuchten Camps sei "zumutbar", erklärte MSF-Mitarbeiter Tankred Stöbe anlässlich der Vorstellung des Jahresberichtes vergangene Woche in Wien. Gefangene müssten oft tagelang hungern, berichteten von Folter, Vergewaltigung und Ausbeutung.
"Tödlichste Grenze der Welt"
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl erklärte, bis Mitte Mai seien bereits 1.364 Menschen auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer gestorben. Die europäische Außengrenze sei inzwischen die "tödlichste Grenze der Welt".
Das deutsche Verfassungsgericht mahnte Behörden und Gerichte, bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber in einen Drittstaat die Aufnahmebedingungen mit der gebotenen Gründlichkeit zu prüfen. Zumindest, wenn es "Anhaltspunkte für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" gebe, müssten vor der Entscheidung nähere Informationen eingeholt werden. Mit ihrem am Dienstag veröffentlichten Beschluss stoppen die Karlsruher Richter die Abschiebung eines Syrers nach Griechenland.
Flüchtlinge sitzen am Balkan fest
Auf der Balkanroute stecken nach Informationen der "Bild"-Zeitung aus Sicherheitskreisen 79.000 Flüchtlinge fest (Jänner 2017: 78.000), davon allein 62.500 in Griechenland.
Italien ist von den Bootsanlandungen der Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute am stärksten betroffen. Bis Ende April 2017 sind dort rund 37.300 Flüchtlinge angekommen (2015: 181.500). Dem Bericht zufolge stammen 55 Prozent aus Nigeria, Bangladesch, Guinea, Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) und Gambia.
Abkommen sollen Abhilfe schaffen
Die deutschen Christdemokraten wollen laut "Bild" als Reaktion auf die Entwicklung mit der Bekämpfung der Fluchtursachen Wahlkampf machen. Im Entwurf des sicherheitspolitischen Teils des Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2017 (Titel: "Sicher und frei leben in Deutschland") stehe: Die Partei wolle mehr Vereinbarungen "nach Vorbild des Türkei-Abkommens" treffen - vor allem mit Nordafrika.
Die Zahl der Asylklagen ist in Deutschland in diesem Jahr stark gestiegen. Bis Ende März seien bei den Verwaltungsgerichten bundesweit rund 97.000 Haupt- und Eilverfahren von Asylbewerbern gegen ihre Aufenthaltsbescheide eingegangen, berichteten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe unter Berufung auf Zahlen der Landesjustizministerien. Im gesamten Jahr 2016 seien es gut 181.000 Verfahren gewesen.