Austro-Rot-Kreuz-Helferin

'Ich höre die Bomben fallen'

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Austro-Rot-Kreuz-Helferin Stephanie Berchtold in Syrien über Ost-Ghouta.

Seit Kriegsbeginn in Syrien sind 73 Freiwillige des Roten Kreuzes im Kriegsgebiet umgekommen. Stephanie Berchtold ist die einzige Österreicherin, die in Syrien für eine Hilfsorganisation vor Ort tätig ist. Die Vorarlbergerin ist für die Logistik der Hilfskonvois des Internationalen Roten Kreuzes in Ost-Ghouta zuständig. Seit voriger Woche ist sie auf Heimaturlaub – diese Woche kehrt sie zurück nach Damaskus. Davor sprach sie mit ÖSTERREICH über ihr Leben mit und in der Gefahr, was sie antreibt, und mit welchen Schwierigkeiten sie in Syrien zu kämpfen hat.

ÖSTERREICH: Frau Berchtold, wie sehen Sie die Lage in Syrien nach sieben Jahren Krieg?
Stephanie Berchtold: Es sind circa 6,5 Millionen Menschen, die keinen gesicherten Zugang zu Lebensmitteln haben. Wenn man das in Proportion stellt, wären das 75 Prozent aller Österreicher - also eine enorme Anzahl von Menschen. Es ist doppelt so viel wie letztes Jahr, und weitere 4 Millionen Personen sind auch schon nahe dran, dass sie ebenfalls keinen Zugang zu essen haben. Fast 6,3 Millionen Menschen innerhalb Syriens mussten ihren Aufenthaltsort verlassen und flüchten.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) schafft es im Moment, dass 13 Millionen Menschen von unseren Wasserprojekten profitieren. Syrien ist das größte Projekt des IKRK weltweit. Wir haben ein Gesamtbudget von 160 Millionen Schweizer Franken (137 Mio. Euro). Die Höhe zeigt, dass die Lage in Syrien nach wie vor katastrophal ist.

ÖSTERREICH: Was hat ihnen denn bisher am meisten Kopfzerbrechen gemacht?
Berchtold: Am meisten Kopfzerbrechen macht mir, dass der Krieg immer noch nicht aufgehört hat. Dass die Lage sehr bedrückend ist. Das geht einem schon nahe. Man muss eine bestimmte Distanz wahren, damit man auch weiterarbeiten kann.

ÖSTERREICH: Wie schafft man das überhaupt? Wie lange sind sie jetzt schon in Syrien?
Berchtold: Mit Stricken und Lesen (lacht). Ich bin seit November dort. Es hilft, viel Sport zu machen und gesund zu leben, also sich gesund zu ernähren und seinen Hobbies nachzugehen - was auch immer einen entspannt.

ÖSTERREICH: Was ist in dieser Hinsicht vor Ort möglich?
Berchtold: Als es noch ruhiger war, konnten wir in einem Park joggen gehen. Es gibt kleine Fitnesscenter, wo man aufs Laufband kann. Die Freizeit ist natürlich begrenzt, aber wenn einem Zeit bleibt, versucht man, normale Mechanismen zu haben, um Stress abzubauen. Wir arbeiten auch sehr oft am Wochenende oder in die Abende hinein, um alles zu organisieren und sicherzustellen.

ÖSTERREICH: In welchen Intervallen verlassen Sie das Land?
Berchtold: Etwa alle 3 Monate. Es kommt darauf an: Alle 6 Wochen kurz, und alle 3 Monate können wir länger hinaus.

ÖSTERREICH: Wie lange dauert ein durchschnittlicher Arbeitstag bei ihnen?
Berchtold: Ein normaler Tag fängt meistens um halb acht an und hört am Abend um sieben auf. Je nachdem, manchmal müssen wir länger bleiben oder wir arbeiten am Wochenende.

ÖSTERREICH: Was wäre das wichtigste für sie, für die Menschen in Syrien?
Berchtold: Dass der Krieg endlich beendet wird. Der Krieg muss einfach aufhören. Das ist die einzige längerfristige Lösung

ÖSTERREICH: Und was brauchen die Menschen in der umkämpften Region Ost-Ghouta?
Berchtold: Es fehlt uns der regelmäßige Zugang. Wir konnten jetzt erst am Montag mit einem Konvoi rein, die Hilfsgüter sind nicht genug gewesen, für die Bedürfnisse, die vorherrschen. Auch wenn wir drei oder vier Konvois gemacht hätten, wäre es immer noch nicht genug gewesen, wir müssen regelmäßig reingehen können, damit wir die Leute mit den notwendigen Hilfsgütern, Medizin, Lebensmittel undHygieneartikelversorgen können.

ÖSTERREICH: Was war für Sie der gefährlichste Moment?
Berchtold: Es hat schon Mörsergranaten gegeben, die in der Nähe von unserem Büro eingeschlagen sind. Es gibt immer wieder Zeiten, in denen wir uns in Sicherheitsräumen aufhalten müssen.

ÖSTERREICH: Wie kann man sich die Lage der Menschen in Ost-Ghouta vorstellen?
Berchtold: Die Leute sind vollkommen verzweifelt und wütend. Sie müssen tagelang in Verstecken unter der Erde ausharren, ohne Nahrung und Trinkwasser. Manchmal sind bis zu 60 Familien in einem Raum zusammengepfercht. Eine Mutter hat erzählt, dass sie mit ihren Kindern 15 Tage lang im Keller war, ohne zwischendurch Tageslicht zu sehen.

Die Lage ist jetzt mehr als kritisch, es ist schwer in Worte zu fassen. Die Menschen brauchen einfach alles, was zum Überleben wichtig ist -

ÖSTERREICH: Da gibt es ja auch immer wieder Probleme, dass Waffenstillstandszeiten auch nicht eingehalten werden. Bekommen sie das auch mit?
Berchtold: Diese Kriegsgeräuschkulisse, wenn Bombardierungen stattfinden, dann hört man das. Ständig sind Flugzeuge in der Luft. Wir sind ja in Damaskus und circa 10 Kilometer vom Kampfgebiet entfernt.

ÖSTERREICH: Sie bekommen also die Bombardements mit?
Berchtold: Ja, das hört man alles.

ÖSTERREICH: Werden die Waffenstillstandszeiten eingehalten?
Berchtold: Selbst wenn der Waffenstillstand eingehalten wird, dauert er nur fünf Stunden. Das ist viel zu kurz. Stellen Sie sich vor: Ein Konvoi ist vergangenen Montag um 09:30 Uhr losgefahren - und die Kollegen waren erst um Mitternacht zurück. Wir müssen durch mehrere Fronten, brauchen von allen Parteien Sicherheitsgarantien und eine Erlaubnis durchzufahren. Die Straßen sind auch nicht immer freigeräumt. Normalerweise kann man in 15-30 Minuten durchfahren, aber wenn die Kollegen mit 46 LKWs von morgens bis Mitternacht brauchen, kann man sich vorstellen, wie langwierig und schwierig das ist. Zudem muss man die LKWs von Hand entladen. Das dauert einfach alles.

Interview: Florian Godovits

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