Angst um Israels Demokratie

Knesset beschloss Gesetz zu Justizumbau

Teilen

Trotz massiven Widerstands hat Israels Regierung ein Kernelement ihrer umstrittenen Justizreform durchs Parlament gebracht.

64 von 120 Abgeordneten stimmten nach tagelanger Debatte am Montag für einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des Höchsten Gerichts einschränkt. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets. Kritiker stufen es als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen sogar vor der Einführung einer Diktatur.

Mit dem neuen Gesetz ist es dem Höchstgericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten. Zahlreiche Experten befürchten, dass das Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder aber Entlassungen begünstigen könnte.

"Gericht verliert ein zentrales Werkzeug"

"Das Gericht verliert ein zentrales Werkzeug zur Kontrolle von Regierungspolitikern", sagte der Präsident des israelischen Demokratieinstituts, Johanan Plesner. Wichtige Positionen im Land könnten mit "Ja-Sagern" besetzt, die Generalstaatsanwältin entlassen werden. Auch die Zuweisungen von Finanzmitteln oder die Erteilung von Lizenzen für Unternehmen seien nicht mehr kontrollierbar.

Befürworter der Reform argumentieren, Richter seien anders als Abgeordnete oder Minister nicht direkt vom Volk gewählt. Sie seien jetzt unabhängiger von den Richtern und könnten Interessen ihrer Wähler leichter durchsetzen. Zudem werfen sie dem Höchsten Gericht immer wieder vor, eher "linke" Ansichten zu vertreten.

Netanyahu: "Notwendiger demokratischer Schritt" 

Regierungschef Benjamin Netanyahu nannte den Beschluss dagegen einen "notwendigen demokratischen Schritt". Dieser ermögliche der gewählten Führung das Regieren im Sinne der Mehrheit der Bürger, sagte Netanyahu am Montagabend in einer Ansprache. Die Erfüllung des Wählerwillens sei "das Wesen der Demokratie" - und nicht ihr Ende. Umfragen zufolge sprachen sich zuletzt allerdings nur ein Viertel aller Israelis für die Umsetzung der Justizreform aus.

Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchstgericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Zehntausende Menschen protestierten vor der Knesset

Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das Vorhaben weite Teile der israelischen Gesellschaft. Während der Parlamentssitzung protestierten vor der Knesset Zehntausende Menschen. Einige Demonstranten versuchten Medienberichten zufolge, das Plenum zu stürmen. Die Protestbewegung kündigte an, ihren Protest "bis zum Ende" weiterzuführen. "Wir haben gerade erst begonnen", hieß es von den Organisatoren.

Am Montagabend raste bei einem Protestzug gegen Justizreform ein Auto in eine Menschenmenge aus Demonstranten. Drei Menschen wurden dabei am Montag in einem Ort nördlich von Tel Aviv verletzt, teilte die Polizei mit. Die Demonstranten hatten eine Fahrbahn blockiert. Ein Video im Netz zeigte, wie das Auto mit voller Wucht und ohne Rücksicht durch die Menschenmenge auf der Straße fuhr. Bereits in der Vergangenheit hatten wütende Autofahrer Demonstranten angefahren, die aus Protest gegen die umstrittene Justizreform Straßen versperrten. Die Beamten nahmen den Fahrer, dessen Motiv am Abend zunächst unklar war, nach einer Fahndung fest.

Verhandlungen über Kompromiss scheiterten

Verhandlungen über einen Kompromiss, die bis zur letzten Minute andauerten, blieben erfolglos. "Mit dieser Regierung ist es unmöglich, Vereinbarungen zu treffen, die die israelische Demokratie bewahren", sagte Oppositionsführer Jair Lapid. Die Regierung wolle "den Staat auseinanderreißen, die Demokratie zerstören, die Sicherheit Israels, die Einheit des Volkes Israel und unsere internationalen Beziehungen zerstören".

Zuletzt nahm auch der Widerstand innerhalb des Militärs zu. Mehr als Zehntausend Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte ein Teil der umstrittenen Pläne verabschiedet werden. Die Einsatzfähigkeit könnte damit massiv eingeschränkt werden. "Die Drohungen der Reservisten werden sicher zum Teil verwirklicht, weitere werden sich vielleicht anschließen", sagte Plesner. Dies könne sich zu einer ernsten "Sicherheitskrise" entwickeln. Auch aus der Wirtschaft gab es solche Drohungen.

Kritik kam zuletzt auch von den USA

Kritik kam zuletzt auch vermehrt von Israels engstem Bündnispartner, den USA. US-Präsident Joe Biden sprach sich noch am Morgen vor der Abstimmung gegen die Pläne aus. Der jüdische Staat sei derzeit mit vielen Bedrohungen und Herausforderungen konfrontiert. Das Land solle sich deshalb darauf fokussieren, "die Menschen zusammenzubringen und einen Konsens zu finden", sagte Biden der Nachrichtenseite "Axios". Eine Sprecherin Bidens erklärte nach dem Votum, es sei "bedauerlich", dass das Votum "mit der geringstmöglichen Mehrheit" zustande gekommen sei. Die US-Regierung gehe davon aus, dass es jetzt und in den kommenden Wochen und Monaten weiter Gespräche darüber gebe, wie ein umfassenderer Kompromiss gefunden werden könne, auch wenn die Knesset in der Pause sei. Die USA unterstützten die Bemühungen von Präsident Izchak Herzog und anderen Verantwortungsträgern, die durch politischen Dialog einen breiteren Konsens herstellen wollten.

Der Kurs der Regierung Netanyahus ist in den vergangenen Monaten zur Belastungsprobe für die israelisch-amerikanischen Beziehungen geworden, wie israelische und US-Medien übereinstimmend berichteten. Die USA unterstützen Israel jährlich im Verteidigungsbereich mit Milliarden US-Dollar.

Koalitionspartner fühlten sich vom Abstimmungs-Ergebnis bestärkt

Netanyahus Koalitionspartner fühlten sich unterdessen vom Ergebnis der Abstimmung bestärkt. Minister lagen sich im Plenum in den Armen, schlugen ihre Hände ein, machten Selfies und gaben zu verstehen: Dies ist erst der Anfang. Ein weiteres Kernstück der Reform - eine Änderung bei der Richterbesetzung - soll nach ihrem Willen bereits in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda rücken.

Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck von Netanyahus strengreligiösen Koalitionspartnern. Sie könnten Netanyahu laut Experten jedoch auch in einem schon länger gegen ihn laufenden Korruptionsprozess in die Hände spielen.

Oppositionsführer Lapid sprach von einer "beispiellosen Schwächedemonstration" des Regierungschefs. Benjamin Netanyahu sei "zur Marionette einer Reihe messianischer Extremisten geworden".

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.