EU-Sondergipfel

Kurz: "Großbritannien hat bei EU-Wahl nichts verloren"

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'Ansonsten importieren wir das Chaos aus Großbritannien in die EU'

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Mittwoch bei seinem Eintreffen beim EU-Gipfel betont, dass es eine Priorität der EU-27 sei, die Einheit zu bewahren und einen harten Brexit am Freitag zu verhindern, "ansonsten importieren wir das Chaos aus Großbritannien in die EU". Er persönlich spreche sich für eine "möglichst kurze Verlängerung aus", erklärte der Bundeskanzler.

Er habe aber immer gesagt, dass es absurd wäre, wenn die Briten noch an der EU-Wahl teilnehmen würde, sagte Kurz, auch wenn momentan alles dafür spreche. "Wenn wir heute wieder einmal einen Aufschub gewähren, werden wir versuchen, dass die Briten keine Möglichkeit haben, die EU zu blockieren." Es stünden nämlich bald viele zukunftsweisenden Entscheidungen, wie die Bestellung der neuen Kommission und der nächste mehrjährige Finanzrahmen, so Kurz.

Großbritannien hat bei EU-Wahl nichts verloren

Da wäre es absurd, wenn ein Land, das eigentlich austreten möchte, noch mitbestimme. "Großbritannien hat bei der EU-Wahl eigentlich nichts verloren, aber wenn es nichts anders geht, um einen 'hard Brexit' zu verhindern, dann ist das leider so."

Er habe "absolut nie das Gefühl gehabt, dass Theresa May der EU schaden wolle, daher sollte man das ihr und auch Großbritannien nicht unterstellen", sagte Kurz. Wenn man sich heute auf eine längere Verlängerung einigen sollte, "dann sollte man natürlich Regelungen, Bedingungen finden, um uns und auch Großbritannien größtmögliche Sicherheit zu gewähren".
 
Wie lang die Verlängerung sein werde, werde man diskutieren. "Ich gehöre mit Emmanuel Macron einer Gruppe an, die für eine kürzere Verlängerung sind. Mal schauen, wo wir landen werden." Jedenfalls sei es keine einfache Aufgabe, "die uns da heute bevorsteht.""

Statt Chaos-Austritt berät EU-Gipfel Dauer der Verlängerung 

Der EU-Austritt Großbritanniens wird wahrscheinlich abermals verschoben und ein Chaos-Brexit am Freitag gestoppt. Dies zeichnete sich Mittwochabend beim EU-Krisengipfel in Brüssel ab. Offen ist noch die Dauer der Verlängerung. Die britische Premierministerin Theresa May wollte nur einen Aufschub bis 30. Juni und einen Austritt noch vor den EU-Wahlen im Mai.
 
Die meisten anderen der 27 Staats- und Regierungschefs dagegen treten für eine längere Verschiebung ein. Die Vorschläge reichen von Jahresende 2019 bis März 2020. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) plädierte für eine kurze Verlängerung, ebenso Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel betonte ebenfalls wie Kurz, dass die Einigkeit der 27 wesentlich sei. Diese Einigkeit könne auch heute wieder erreicht werden.
 
Zu Beginn des Gipfels trug May im Kreis der übrigen Staats- und Regierungschefs ihre Ideen vor und beantwortete auch mehr als eine Stunde lang Fragen. Die Runde sei konstruktiv gewesen, hieß es anschließend von EU-Diplomaten. May habe substanziell, wenn auch mit wenigen Details geantwortet. Die Regierungschefin habe den Eindruck vermittelt, dass sie eine Verschiebung über den 30. Juni hinaus akzeptieren würde, sofern Großbritannien auch früher geregelt ausscheiden könnte. Am Abend berieten die 27 bleibenden Staaten dann ohne May weiter. Der Gipfel dürfte jedenfalls bis Mitternacht dauern.
 
Dass es eine weitere Verschiebung geben soll, war bereits in den Stunden vor dem Gipfel im Kreis der 27 Länder weitgehend geklärt. So zeigte sich der irische Premier Leo Varadkar sicher, dass die EU einen Konsens erzielen werde, "Großbritannien ein bisschen mehr Zeit zu geben". Er rechne nicht mit einem Austritt des Landes am Freitag.

Meisten Diplomaten wollen langen Aufschub

Ein langer Aufschub war nach Darstellung von Diplomaten der Wunsch der meisten EU-Staaten, um für einige Monate Ruhe in den Austrittsprozess zu bringen. Als Daten waren Stichtage im Dezember 2019, im Februar oder März 2020 im Gespräch. Merkel sagte bereits am Mittwochnachmittag im Bundestag: "Es kann gut sein, dass es eine längere Verlängerung als die von der britischen Premierministerin erbetene ist." Großbritannien soll aber früher gehen können, sobald in London eine Lösung steht.
 
May steckt in der Klemme, weil das britische Parlament den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag inzwischen drei Mal abgelehnt hat. Wegen der Blockade war der Brexit schon einmal vom 29. März auf den 12. April verschoben worden. Kurzfristig begonnene Vermittlungsgespräche mit Labour-Chef Jeremy Corbyn brachten noch keine Lösung, sollen aber am Donnerstag weitergehen. Die oppositionelle Labour-Partei will eine weichere Form des Brexits mit einer Zollunion und eine engeren Anbindung an die EU, was Hardliner in Mays Konservativer Partei jedoch kategorisch ablehnen.
 
Die Premierministerin hofft, den Knoten noch kurzfristig zu lösen, eine Mehrheit im Parlament zu finden und ihr Land noch vor der Europawahl vom 23. bis 26. Mai mit Vertrag aus der EU zu führen. Dann träte eine Übergangsphase in Kraft. Großbritannien müsste nicht mehr mitwählen und keine neuen Abgeordneten ins EU-Parlament schicken. Das wäre auch vielen EU-Politikern das Liebste.
 
Zur Sicherheit will May in Großbritannien aber eine EU-Wahl am 23. Mai vorbereiten. Das hatten die 27 bleibenden EU-Länder als Bedingung formuliert. Die Wahlteilnahme soll sicherstellen, dass es keine rechtlichen Schwierigkeiten gibt, wenn Großbritannien im Sommer noch EU-Mitglied sein sollte, aber keine EU-Abgeordneten gewählt hat. Sollte Großbritannien aus irgendeinem Grund doch nicht wählen, müsste es einem Entwurf der Gipfel-Erklärung zufolge am 1. Juni gehen.

Weitere Bedingung für Verschiebung

Eine weitere Bedingung für eine Brexit-Verschiebung sollte dem Entwurf zufolge sein, dass sich die britische Regierung verpflichtet, im Rat der Mitgliedsländer nicht mehr aktiv in EU-Entscheidungen einzugreifen. Relevant könnte dies bei der Auswahl des nächsten EU-Kommissionschefs oder den Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis Ende 2027 sein.
 
Im Entwurf heißt es, Großbritannien müsse sich bereit erklären, bis zum endgültigen Austritt "konstruktiv" und "verantwortungsvoll" zu handeln. Das Land müsse alles unterlassen, was die Erreichung der von der EU gesteckten Ziele in Gefahr bringe.
 
Das britische Parlament muss einer in Brüssel vereinbarten weiteren Verlängerung der Brexit-Frist nach Angaben der Regierung in London nicht noch einmal zustimmen. Einem Sprecher zufolge will May das Gipfelergebnis dem Unterhaus in London zwar vorstellen. Die Abgeordneten müssten es aber nicht billigen, es sei keine Abstimmung geplant, sagte er. Eine Sprecherin des Parlaments schloss eine Abstimmung bis zum Freitagabend allerdings nicht aus.
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