Französischer Präsident in Budapest: "Wir haben politische Meinungsverschiedenheiten, aber auch den Willen, zusammenzuarbeiten für dieses Europa"
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will in der Migrationspolitik auf den rechtsnationalen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zugehen und die Position der EU überdenken. Beide Politiker zeigten sich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Montag in Budapest darin einig, dass sie trotz politischer Meinungsverschiedenheiten an gemeinsamen Zielen arbeiten wollen.
"Wir sind politische Gegner, aber europäische Partner", sagte Orbán. Macron fügte hinzu: "Wir haben politische Meinungsverschiedenheiten (mit Ungarn), die bekannt sind, aber wir haben auch den Willen, zusammenzuarbeiten für dieses Europa."
Zwar habe es in der Vergangenheit Differenzen in der Flüchtlingspolitik gegeben, sagte der Gast aus Paris. Die aktuelle Lage an der polnisch-belarussischen Grenze sei aber so geartet, "dass es uns dazu bringt, an eine Neuorganisation zu denken, um den Migrationszuflüssen vorzubeugen, unsere Grenzen besser zu schützen und erfolgreich die Mittel und Wege zu finden für eine wirksamere Kooperation der Europäer zu diesem Thema".
Ungarn weigert sich seit der Flüchtlingskrise von 2015 strikt, illegal nach Europa gelangte Asylwerber aufzunehmen, und liegt hierzu mit der EU im Streit. Im Sommer jenes Jahres waren in Ungarn Tausende Flüchtende festgesessen und hatten eine freie Ausreise in Richtung Deutschland gefordert, bis Orbán nach der Aussage der damaligen deutschen Kanzlerin Angela Merkel, "wir schaffen das", die Grenzen für die Durchreise öffnete. Danach hatte Ungarn an seiner Südgrenze zu Serbien und Kroatien einen Grenzzaun errichtet und strenge Restriktionen für Asylbewerber eingeführt, die zum Teil später vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt wurden. Das Land lehnt außerdem eine innereuropäische Verteilung von Asylbewerbern ab.
Orbán betonte, mit Macron herrsche Konsens in drei Punkten: "Wir beide lieben unsere Länder, wir arbeiten für ein stärkeres Europa und wir sind uns einig, dass Europa eine strategische Autonomie braucht." Unter "strategischer Autonomie" verstehe er eine starke Rüstungsindustrie, Atomkraft und landwirtschaftliche Eigenständigkeit. Macron wiederum dankte Ungarn für die militärische Unterstützung Frankreichs im afrikanischen Mali.
Macron ist im Vorfeld der französischen Ratspräsidentschaft zu einem Gipfeltreffen der Visegrad-Gruppe (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) nach Budapest gereist. Dabei werde es kontroverse Diskussionen über europäische Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte, den Kampf gegen Diskriminierung und den Pluralismus der Medien geben, kündigte Macron beim Treffen mit Orbán an.
"Wir können dabei Meinungsverschiedenheiten haben", sagte der Gast aus Paris. Jedoch komme es darauf an, dass jedes Mitgliedsland respektiert werde, dass man verstehe, wie Spannungen zu diesen Themen entstehen, "auf dem Weg des Dialogs und des Respekts". Vor allem in Sachen Rechtsstaatlichkeit liegen Ungarn und Polen im Streit mit den EU-Institutionen.
Orban berichtete nach dem Treffen der Visegrad-Gruppe davon, dass man "leidenschaftlich" über Rechtsstaatsfragen diskutiert habe. Macron ließ es sich nicht nehmen, in Budapest auch mit Oppositionsvertretern zusammenzutreffen. Der französische Präsident habe der ungarischen Opposition versprochen, dass Frankreich während der Ratspräsidentschaft darauf drängen werde, dass Rechtsstaatlichkeit zur Voraussetzung für EU-Corona-Aufbauhilfen gemacht werden - anders als von Orbans Regierung gewünscht. Dies sagten einstimmig die vier wichtigsten ungarischen Oppositionsführer - darunter Orbans Herausforderer bei der Wahl im nächsten Frühjahr, Peter Marki-Zay - nach ihrem Treffen mit Macron.