Eine halbe Woche nach dem schweren Erdbeben in Marokko schwindet die Hoffnung auf Überlebende. I
In den schwer zugänglichen Gebieten läuft die Suche nach Hunderten Vermissten weiter. Für die Einsatzkräfte ist es ein Wettlauf gegen die Zeit: Experten geben einen Richtwert von 72 Stunden an, in denen ein Mensch höchstens ohne Wasser auskommen kann. Laut amtlichen Angaben kamen landesweit mindestens 2.681 Menschen ums Leben, mindestens 2.501 weitere Menschen wurden verletzt.
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Während die Menschen die dritte Nacht in Folge aus Angst vor weiteren Nachbeben in den Straßen von Marrakesch und anderen Orten verbrachten, wollten Soldaten mit Unterstützung ausländischer Hilfsteams in entlegene Bergdörfer vordringen. Die Behörden hätten mittlerweile Feldlazarette in der Nähe des Epizentrums eingerichtet, um dort Verletzte zu versorgen, sagte Justizminister Abdel Latif Wehbe dem arabischen Fernsehsender Al-Arabiya am Montag. Derzeit könne man die genaue Anzahl der Toten und Schäden nicht klären. Am Montag warfen Militärhubschrauber Hilfspakete über schwer zugänglichen Gebieten ab.
Sonderfonds
Die Regierung in Marokko kündigte einen Sonderfonds für die notleidende Bevölkerung an. Damit sollten unter anderem Kosten zur Absicherung beschädigter Häuser gedeckt werden, berichtete die Nachrichtenseite "Hespress" unter Berufung auf einen Regierungssprecher. Zur Höhe des Hilfsfonds gab es zunächst keine Angaben.
Mit Bulldozern müssen in dem zerklüfteten Gelände Straßen von Erdrutschen befreit werden, damit Krankenwagen durchkommen, wie die Online-Zeitung "Morocco World News" berichtete. Großbritannien ist mit 60 Such- und Rettungsexperten sowie vier Suchhunden in Marokko, um die Einsätze zu unterstützen, teilte der britische Botschafter Simon Martin auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) mit. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden beteiligt sich an den Bergungsarbeiten.
Marokko nimmt nur Hilfe von vier Staaten an
Obwohl auch andere Länder, darunter Österreich und Deutschland, Hilfe angeboten haben, nahm Marokko zunächst nur von vier Staaten Unterstützung an. Das Innenministerium hatte am späten Sonntagabend erklärt, die Behörden hätten eine genaue Bewertung der Bedürfnisse vorgenommen. Dabei sei berücksichtigt worden, dass ein Mangel an Koordinierung zu nachteiligen Ergebnissen führen würde, meldete die marokkanische Nachrichtenseite Hespress. Daher habe man zunächst "auf die Unterstützungsangebote der befreundeten Länder Spanien, Katar, Großbritannien und Vereinigte Arabische Emirate reagiert".
Innerhalb der ersten drei Tage nach einem derart verheerenden Beben hätten verschüttete Menschen Überlebenschancen. In diesem Zeitfenster bestünden "gute Chancen, Lebende zu finden und zu retten", sagte Walter Hajek vom österreichischen Roten Kreuz im Ö1-Mittagsjournal. Auch darüber hinaus würden Suchmaßnahmen sehr oft weitergeführt. "Es obliegt dann der lokalen Zivilschutzbehörde, diese Entscheidung zu treffen", so Hajek. Die Helfer stünden aktuell vor einer doppelten Belastung: Neben der Suche und Rettung von Verschütteten gelte es, die Überlebenden zu versorgen und zu betreuen, "viele 10.000 Menschen", so der Experte, die jetzt untergebracht werden müssen, die Angehörige und ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben.
Schlimmstes Beben seit Jahrzehnten
Das Beben vom späten Freitagabend war das schlimmste seit Jahrzehnten in Marokko. Es hatte eine Stärke von 6,8. König Mohammed VI. ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300.000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten betroffen.
Die Europäische Union stellt eine Million Euro für humanitäre Hilfe bereit. "Das tragische Erdbeben in Marokko hat schreckliches Leid und den Verlust von Menschenleben verursacht", teilte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarcic, mit. Die Summe solle dabei helfen, die dringendsten Bedürfnisse der am stärksten betroffenen Menschen zu decken. Zudem stehe die Kommission mit den EU-Staaten in Kontakt, um Einsatzteams zu mobilisieren, falls Marokko darum bittet.
Frankreich unterstützt den Einsatz von Nichtregierungsorganisationen (NGO) in dem Land mit fünf Millionen Euro, sagte Außenministerin Catherine Colonna am Montag in Paris dem Sender BFMTV. Auf das Angebot, Rettungskräfte zu schicken, war Marokko zunächst nicht eingegangen. Dies sorgte in Frankreich, wo zahlreiche Marokkaner leben, für Diskussionsstoff. Dass Spannungen zwischen beiden Ländern dafür der Grund sein könnten, wies Colonna zurück.
Deutschland bot indes erneut Hilfe an, man könne eine Trinkwasseraufbereitungsanlage schicken, teilte ein Sprecher des Innenministeriums in Berlin mit. Am Samstag hatte die deutsche Bundesregierung bereits angeboten, mit dem Technischen Hilfswerk (THW) bei der Bergung zu unterstützen. Die Regierung in Rabat hatte jedoch kein Interesse gezeigt. Auf die Frage, ob der Verzicht womöglich politische Gründe haben könnte, antwortete ein Sprecher des Auswärtigen Amtes: "Ich glaube, politische Gründe kann man hier ausschließen für unseren Fall." Die diplomatischen Beziehungen zu Marokko seien gut. Der Streit über die Westsahara hatte die deutsch-marokkanischen Beziehungen 2021 in eine tiefe Krise gestürzt. Auf dem Höhepunkt zog Marokko seine Botschafterin für mehrere Monate aus Berlin ab. Im Sommer 2022 näherten sich die beiden Staaten dann wieder an.
"Die letzten Nächte in Marokko waren schrecklich. Hunderte Menschen schlafen auf der Straße oder liegen mit Decken in Parks, weil sie Angst haben, nach Hause zu gehen. Die Menschen sind erschöpft. Neben den enormen physischen Verwüstungen wiegt vor allem auch der emotionale Schaden, der von dem erlebten Grauen und der ausgestandenen Angst verursacht wurde, sehr schwer", sagte Hlima Razkaoui, Generalsekretärin der NGO Care Marokko. "Es ist jetzt wichtig, die Menschen nicht nur mit humanitärer Hilfe wie Nahrung, Wasser, Unterkünften und Hygieneartikel zu unterstützen, sondern auch psychologisch."
Der Bedarf an Hilfsgütern in der Bebenregion im Atlasgebirge ist groß. Laut marokkanischem Roten Halbmond fehlt es an Unterkünften, Nahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser. Das österreichische Rote Kreuz könnte mit WASH-Tools ("Water, Sanitation and Hygiene Promotion") helfen, sollte Unterstützung angefordert werden, sagte ÖRK-Generalsekretär Michael Opriesnig.
Laut dem österreichischen Außenministerium halten sich in Marokko aktuell rund 130 registrierte Reisende aus Österreich (Stand Montagvormittag) auf - die Zahl der Urlauberinnen und Urlauber, die sich registrieren, ist also wie meist nach solchen Ereignissen etwas angestiegen. "Wir haben glücklicherweise weiterhin keine Infos dazu, dass jemand von ihnen verletzt wurde", sagte eine Sprecherin auf APA-Anfrage.
(S E R V I C E - Spendenkonten - CARE Österreich: AT77 6000 0000 0123 6000 - Hilfswerk International: AT71 6000 0000 9000 1002 - Österreichisches Rotes Kreuz: AT57 2011 1400 1440 0144 - Ärzte ohne Grenzen: AT43 2011 1289 2684 7600 - Jugend Eine Welt: AT66 3600 0000 0002 4000 )
(Redaktionelle Hinweise: GRAFIK 1206-23, 88 x 150 mm)