Ein Jahr im Amt

Meloni wegen Migration schwer unter Druck

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Italiens erste Premierministerin ist laut Umfragewerten weiterhin durchaus beliebt. Am Horizont brauen sich jedoch dunkle Wolken zusammen

Bei der UNO-Generalversammlung ruft sie zu einem "globalen Krieg" gegen Menschenhandel auf, auf Lampedusa versucht sie, die empörten Inselbewohner zu beruhigen: Die Massenflucht aus Afrika beschäftigt Italiens Premierministerin Giorgia Meloni rund um die Uhr. Für die Rechtspopulistin, die die Parlamentswahlen vor einem Jahr mit dem Versprechen einer Seeblockade gegen Migranten gewonnen hatte, sind die Massenankünfte auf Lampedusa ein schwerer Imageschlag.

Ein Jahr ist seit den Parlamentswahlen am 25. September 2022 vergangen, die Melonis Rechtsaußenkoalition mit 44 Prozent der Stimmen gewonnen hat, was für eine bequeme Mehrheit im Parlament reichte. Ihre Partei Fratelli d'Italia schaffte es allein auf 26 Prozent der Stimmen, drei Mal mehr als die verbündeten Lega von Matteo Salvini und Silvio Berlusconis Forza Italia. Dies ermöglichte es Meloni, im Oktober an der Spitze einer rechten Mehrheit die erste Premierministerin der italienischen Geschichte zu werden.

Meloni weiterhin beliebt

Die 46-jährige Römerin ist ein Jahr nach ihrem Wahlsieg laut Umfragewerten bei den Italienern zwar weiterhin beliebt, am Horizont brauen sich für sie jedoch dunkle Wolken zusammen. Die Rechtspopulistin hatte im vergangenen Jahr vor allem dank ihres Versprechens die Parlamentswahlen gewonnen, die illegale Migration zu bekämpfen. Ihre Wähler vertrauten darauf, auch weil Meloni den Ex-Innenminister und Lega-Vorsitzenden Matteo Salvini als engsten Verbündeten an ihrer Seite hatte, der mit seiner umstrittenen "Politik der geschlossenen Häfen" 2018-2019 die Migrantenankünfte einschränkte. Doch diese Tendenz setzte sich nicht fort. Seitdem Meloni regiert, verdoppelte sich die Zahl der Migrantenankünfte sogar.

Fast 130.000 Migranten sind seit Jahresbeginn nach Seefahrten in Italien eingetroffen. Befürchtet wird, dass es bis Ende des Jahres über 200.000 sein werden, so viele wie noch nie. Melonis Ansehen als entschlossene Bekämpferin der "Invasion aus Afrika" ist schwer angekratzt. Nach dem Rausch des Wahlerfolgs müssen auch die treuesten Anhänger Melonis zugeben, dass die Wahlslogans leere Worte geblieben sind: Denn auch als Regierungschefin hat die Rechtspopulistin kaum Einfluss darauf, wie viele Menschen sich in Nordafrika auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer machen.

Zwölf Monate nach ihrem Wahltriumph am Ende eines langen Wahlkampfes ist die Mutter einer siebenjährigen Tochter mit rauen Winden konfrontiert - nicht nur wegen der eskalierenden Migrationsproblematik. Verzögerungen bei der Umsetzung des EU-Wiederaufbauprogramms, ungewisse Wirtschaftsszenarien und eine aggressivere Opposition machen ihr zu schaffen. Derzeit arbeitet Meloni an ihrem ersten Budget für das kommende Jahr. Die Spielräume sind eng. Die Wirtschaft ist im zweiten Quartal überraschend um 0,3 Prozent geschrumpft, soll aber trotzdem im Gesamtjahr um ein Prozent wachsen. Meloni sucht nach dem passenden Wirtschaftsprogramm, um das Land trotz Inflation, hoher Energiepreise und sinkender Industrieproduktion auf Wachstumskurs zu halten.

Budgetdefizit  

Das italienische Budgetdefizit könnte in diesem Jahr 6,5 bis 7 Prozent des Bruttoinlandprodukts erreichen. Dass der Regierung die Ausarbeitung des Budgetplans für 2024 schwerfällt, ist kein Geheimnis. Nicht zuletzt die hohen Kosten der großzügigen Renovierungssubventionen für Energieinvestitionen in Häusern und Wohnungen schlagen sich nieder. Die gute Nachricht ist, dass Italien eine so hohe Beschäftigungsquote hat wie noch nie. Das ist unter anderem dem Tourismus zu verdanken, der beispiellos boomt. Das ist ein Trost für Meloni, die sich auf einen heißen und unbequemen Herbst gefasst machen muss.

Die Regierungschefin ist unter anderem mit Protesten konfrontiert, weil sie zahlreichen Familien das Bürgergeld gestrichen hat. Die Oppositionsparteien beschuldigen sie, damit eine "soziale Bombe" mit schwer abschätzbaren Folgen für die ärmere Bevölkerung gezündet zu haben. Vor allem Langzeitarbeitslose sowie Personen, die alleinstehend sind oder keine Kinder haben, gehen leer aus. Bezugsberechtigt sind nunmehr nur noch Verheiratete mit Kindern oder Haushalte, in denen ältere Menschen über 65 oder Menschen mit Behinderung leben. Wer arbeiten könne, dürfe nicht dem Staat auf der Tasche liegen, lautet die Devise Melonis.

Mit über 190 Milliarden Euro ist Italien der größte Nutznießer des Aufbaufonds - fraglich ist jedoch, ob die Regierung in der Lage sein wird, alle im Plan enthaltenen Ziele bis zur angegebenen Frist im Jahr 2026 umzusetzen. Die Hilfen sind an Reformen und strikte Vorgaben geknüpft. Alle Änderungen müssen von Brüssel genehmigt werden, und in der EU-Kommission wachsen mittlerweile die Zweifel, ob es Italien gelingen wird, das Geld in der vorgeschriebenen Zeit überhaupt zu investieren. Bereits im Wahlkampf hatte Meloni damit geworben, die Nutzung der zugesagten Mittel zu ändern. Nun hat sie den Plan in mehreren Punkten umgeschrieben, was nicht ohne Probleme vonstatten ging.

Unter den Erfolgen ihrer Regierung listet Meloni eine umfangreiche Steuerreform auf, die sie als "Revolution" bezeichnet und die zu einer deutlichen Entlastung mittlerer und höherer Einkommensgruppen führen soll. Die Kosten werden von Experten auf vier bis zehn Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Die Reform sieht eine Reduzierung der Steuerbelastung vor, die Regierung hofft, dadurch das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. In der Folge würden die Steuereinnahmen wachsen. Die Gewerkschaften sehen die Lage anders und betrachten die Reform als "sozial ungerecht", weil davon die einkommensstärkeren Italiener profitierten.

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