Weiter Unmut über Aussagen von EU-Ratspräsident Tusk.
Die EU-Regierungen haben auf ihrem Gipfel keine Fortschritte im festgefahrenen Streit um die Verteilung von Flüchtlingen erreicht. "Hier haben sich die Standpunkte nicht verändert", sagte deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht auf Freitag nach einer dreistündigen Debatte über die Migrationspolitik. "Allerdings gibt es einen klaren Auftrag, bis Juni nächsten Jahres weiterzuarbeiten."
"Inhaltliche Grenzen"
Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ): "Inhaltliche Differenzen waren nicht zu leugnen", sagte er. Man sei sich auf der Chefebene aber einig gewesen, dass bereits große Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Migration außerhalb der EU und beim Grenzschutz erzielt worden seien, betonten sowohl Merkel als auch Kern. Jetzt gehe es noch um die Verteilung der Flüchtlinge, die bereits in der EU seien, sagte Kern. "Es ist ein großes Thema, das Deutschland, Österreich, Italien und Griechenland berührt. Da gibt es noch keine umfassende Einigung - um es freundlich zu formulieren", fügte der Kanzler hinzu.
Die neuen Ministerpräsidenten Polens und Tschechiens, Mateusz Morawiecki und Andrej Babis, hatten zuvor bekräftigt, dass ihre Länder trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs das beschlossene Quotensystem für die Flüchtlingsverteilung nicht umsetzen wollten.
Österreich pocht auf "faire Verteilung"
Dass die Visegrád-Staaten angekündigt haben, dem EU-Afrikafonds 35 Millionen Euro beisteuern zu wollen, bezeichnete Kern als "löblich" . Allerdings, betonte er gleichzeitig, "Beschlüsse sind Beschlüsse, und von Beschlüssen kann man sich nicht freikaufen, um keinen Betrag und auch nicht um diesen". Österreich poche auf jeden Fall weiter auf eine "faire Verteilung". Der Streit tobt in der EU seit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen in der EU im Jahr 2015.
EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte den Streit der Mitgliedstaaten in der Flüchtlingspolitik schon vor dem Gipfel angeheizt, indem er das beschlossene Quotensystem infrage gestellt hatte. Der aus Polen stammende Tusk löste damit Empörung der EU-Kommission und der meisten EU-Mitgliedstaaten aus. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte, Tusks Aussagen seien "kontrovers diskutiert" worden.
Strittigster Punkt des EU-Gipfels
Das Flüchtlingsthema war der strittigste Punkt auf dem EU-Gipfel, auf dem die 28 Staats- und Regierungschefs zuvor die Russland-Sanktionen verlängert, die EU-Politik in der Jerusalem-Frage bekräftigt und den Start einer gemeinsamen Verteidigungspolitik (PESCO) gefeiert hatten. Die Russland-Sanktionen, die nun bis Ende Juli 2018 in Kraft bleiben sollen, bezeichnete Kern als sehr wichtig. Gleichzeitig sah er deren Wirksamkeit aber als "begrenzt" an: "Da brauchen wir eine neue Strategie, wir sehen, dass die Fortschritte nur sehr beschränkt vorhanden sind, dass die Sanktionen symbolischen Charakter haben", sagte Kern. Man werde das Verhältnis zu Russland "neu ordnen müssen".
Sowohl über Migration als auch die Weiterentwicklung der Euro-Zone, über die die Staats- und Regierungschefs am Freitag reden, sind keine Beschlüsse geplant. Diese sind erst für Juni 2018 vorgesehen. Mitte 2018 soll auch das Dublin-System reformiert werden, das regelt, wo in der EU Asylverfahren behandelt und Flüchtlinge aufgenommen werden. Dies funktioniert nach Angaben Merkels überhaupt nicht. "Deshalb brauchen wir auch nach innen solidarische Lösungen", sagte die Kanzlerin.
Mehr Solidarität gefordert
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni forderten in Brüssel mehr Solidarität innerhalb der EU ein. Italien habe in den Gesprächen auf eine Umsiedlungsquote bestanden und wolle neben Syrern, Eritreern und Irakern auch andere Nationalitäten in der EU umsiedeln. Derzeit kommen die meisten Migranten und Flüchtlinge über Italien in die EU.
Theoretisch kann im Juni 2018 auch die Reform des Dublin-Abkommens wie beim Quotensystem wieder mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Damit würden die in der EU isolierten Osteuropäer überstimmt. "Man hat sich aber politisch vorgenommen, das so weit wie möglich irgendwie im Konsens zu entscheiden", hieß es dazu in Kreisen der deutschen Bundesregierung. Es bleibe aber trotzdem ein Verfahren in qualifizierter Mehrheit.
Am Freitag steht beim Gipfel eine Debatte über Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion an. Entscheidungen sind allerdings nicht vorgesehen. Ebenfalls am Freitag wollen die 27 bleibenden EU-Länder die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien einläuten. Die EU-Staaten wollen also den Startschuss dafür geben, dass mit Großbritannien nicht mehr nur über die Modalitäten des EU-Austritts im April 2019, sondern auch über ein Übergangsabkommen danach verhandelt werden kann.