Ägypten im Ausnahmezustand:

Mursi will Stabilität durch Repression

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Nach tödlichen Krawallen verhängte Ägyptens Präsident den Ausnahmezustand in drei Städten - Opposition befürchtet weitere Repressionsmaßnahmen.

Einer der bekanntesten Journalisten Ägyptens sieht das Land am Scheideweg. Notstandsverordnung, Gewalt und Repressionen, zu denen die Muslimbruderschaft ihren Präsidenten dränge, ließen eine Revolution gegen Mohammed Mursi wahrscheinlicher werden, schreibt der Chefredakteur der unabhängigen Zeitung "Al-Tahrir", Ibrahim Issa, unter dem Titel "vorgezogene Wahlen oder verspätete Revolution?". Sein Alternativszenario: "Sonst wird Mursi als Herrscher eines ägyptischen Somalia enden", als Regent eines zerfallenen Staates.

Nach tagelangen Krawallen mit Dutzenden Toten verhängte Mursi am Sonntagabend den Ausnahmezustand mit nächtlichen Ausgangssperren über drei Städte am Suezkanal: Port Said, Suez und Ismailia. In Port Said waren bei Ausschreitungen wegen der Todesurteile gegen rabiate Fußballfans aus der Stadt am Wochenende fast 40 Menschen ums Leben gekommen. In Suez hatte es am Freitag Krawalle gegeben, zum zweiten Jahrestag der ägyptischen Revolution. Dort gab es neun Tote.

In Ismailia hingegen blieb es vergleichsweise ruhig. Doch liegt auch diese Stadt am Suezkanal - einer der wichtigsten Geldquellen des Landes. Als die Gewalt in der nördlichen Region entbrannte, versicherten die zuständigen Behörden immer wieder, dass der internationale Schiffsverkehr durch den Kanal nicht beeinträchtigt sei. Einnahmeausfälle auch in diesem Bereich kann sich Ägypten nicht leisten.

Die staatliche Zeitung "Al-Ahram" schreibt, die derzeitige Krise sei eher sozialer als politischer Natur. Sie resümiert, mit Gewalt, Straßenblockaden oder der Zerstörung öffentlicher Einrichtungen werde nur das Volk bestraft. Das Land werde derzeit von Schlägern, Vandalen und Gruppen wie dem "schwarzen Block" ins Chaos gestürzt.

Wegen der andauernden Unruhen bleiben Unternehmer wie Touristen fern - sie warten ab, bis sich die Situation wieder entspannt hat. Doch wachsende Probleme durch die zerfallene Infrastruktur und die Frustration der Menschen, von denen viele an der Armutsgrenze leben, sind keine guten Voraussetzungen dafür.

Die dramatische Wirtschaftslage ist derzeit eines der größten Probleme des Landes, das wiederum "too big to fail ist", also "zu groß zum Scheitern". Sollte das bevölkerungsreichste arabische Land zerfallen, hätte dies Folgen für die ganze Region. Derzeit reist Mursi zu vielen potenziellen Geldgebern und wichtigen Investoren, auch mit dem Internationalen Währungsfonds laufen Verhandlungen. Am Mittwoch ist ein Besuch des Präsidenten in Berlin vorgesehen. Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner und deutsche Touristen kamen vor dem Arabischen Frühling 2011 in großer Zahl in die Urlaubsregionen im nordafrikanischen Land.

Issa sieht die Hauptschuld an der Misere bei Mursi und den Muslimbrüdern, die die Gesellschaft gespalten hätten und Grundrechte beschnitten. Erfahrungen mit autoritär regierenden Machthabern hat er am eigenen Leib gemacht. Unter Langzeitpräsident Hosni Mubarak wurde er - damals bei der Zeitung "Al-Dustour" angestellt - für seine Artikel ins Gefängnis gesteckt. Einmal, wegen eines Korruptionsvorwurfs gegen das Staatsoberhaupt. Ein anderes Mal, weil er ein Stück über dessen schlechten Gesundheitszustand veröffentlicht hatte. Die Ankläger warfen ihm damals vor, damit Ägyptens Stabilität zu schaden und Investoren abzuschrecken.

Nun greift Mursi, der aus der vormals verbotenen Muslimbruderschaft stammt, mit ähnlichen Argumenten zu ähnlichen Mitteln. Die Nation sei in Gefahr, begründete er die Verhängung des Ausnahmezustands. Die Opposition fürchtet, dass auch für die neue Regierung künftig die Grenzen zwischen Kritik und Hochverrat verschwimmen.

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