Die Änderungen gelten als wichtiger Schritt auf dem Weg zu der EU-Mitgliedschaft.
Die türkische Regierungspartei AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Montag ihren Entwurf für eine umfassende Reform der Verfassung vorgelegt. Mehr als 20 Revisionsvorschläge wurden den parlamentarischen Oppositionsparteien zugestellt. Die seit mehreren Jahren diskutierte Verfassungsreform betrifft unter anderem die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes, die Regeln für Parteienverbote, Bürgerrechte und die Militärgerichtsbarkeit.
Nötig für EU-Mitgliedschaft
Die Reform gilt als Schritt
auf dem Weg zu der von der Türkei gewünschten EU-Mitgliedschaft. Die
islamisch-konservative AKP will bei der kemalistischen Opposition für ihre
Vorschläge werben und den Entwurf dann im Parlament einbringen. Die größte
Oppositionspartei, die kemalistische Republikanische Volkspartei (CHP),
hatte erklärt, sie hätte bei einigen der AKP-Vorstöße mit sich reden lassen,
wolle dem Gesamtpaket aber nicht zustimmen. Möglicherweise wird die
Entscheidung über die teilweise heftig umstrittenen Änderungen nicht im
Parlament, sondern in einer Volksabstimmung fallen. Die AKP verfügt im
Parlament über 337 Mandate, braucht für Verfassungsänderungen aber
mindestens 30 Abgeordnetenstimmen mehr.
Die AKP, die vor zwei Jahren nur knapp einem Verbot durch das Verfassungsgericht entging, will Parteienverbote durch die Einführung eines Parlamentsvorbehalts erschweren. Das Verfassungsgericht selbst soll von derzeit elf auf 19 Richter erweitert werden. Zugleich sollen türkische Bürger erstmals die Möglichkeit zu Einzelklagen vor dem Verfassungsgericht erhalten. Auch die Zusammensetzung des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte, eines kürzlich von der Regierung scharf kritisierten Justiz-Aufsichtsgremiums, soll geändert werden. Regierungsgegner sehen darin einen Versuch, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben.
Erdogan will die Entscheidungen des sogenannten Hohen Militärrates der Kontrolle durch die zivile Justiz unterwerfen. Der zweimal jährlich tagende Offiziersrat entscheidet vor allem über Personalfragen. Eine Verfassungsklausel, die bisher die Anführer des Militärputsches von 1980 vor Strafverfolgung schützt, soll gestrichen werden. Die Armee versteht sich als Hüterin der kemalistisch-laizistischen Grundprinzipien der Republik und hatte 1960, 1971, 1980 und 1997 in die Politik eingegriffen und zweimal - 1960 unter General Cemal Gürsel und 1980 unter General Kenan Evren - direkt die Macht übernommen. 1997 hatte das Militär den Rücktritt des islamistisch orientierten Premierministers Necmettin Erbakan erzwungen, der mit politischem Betätigungsverbot belegt wurde. Erbakans Wohlfahrtspartei (Refah) war eine Vorläuferin der AKP.