EU-Wahl

Triumph für die Brexit-Partei?

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EVP könnte am Ende nur noch knapp vorne liegen.

"Ich will mein Leben zurück." Mit diesen Worten hatte Nigel Farage, damals Chef der EU-feindlichen Ukip-Partei, nach dem Brexit-Votum 2016 seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Zuvor hatte er mit dem Slogan "Ich will mein Land zurück" für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gekämpft.

Nach dem mit knapper Mehrheit für die EU-Gegner ausgegangenen Referendum 2016 hatte er sein Ziel scheinbar erreicht. Scheinbar, denn drei Jahre später ist das Land noch immer in der EU. Zum Verdruss vieler Briten werden erneut britische Abgeordnete für das Europaparlament gewählt - am Dienstag bestätigte die britische Regierung offiziell die Teilnahme an der Europawahl am 23. Mai.

Das heißt auch: Farage ist zurück. Der Ukip-Partei hat er den Rücken gekehrt und kurzerhand eine neue Partei gegründet. Die Brexit-Partei. Sie führt bisher in Großbritannien in Umfragen vor der Abstimmung. Drei Mal ist Premierministerin Theresa May mit ihrem Brexit-Deal im Parlament gescheitert.

Die Austrittsfrist wurde auf den 31. Oktober verschoben. Downing Street setzte bis zuletzt darauf, dass das Abkommen doch noch rechtzeitig verabschiedet wird. Damit wäre die Teilnahme an der Wahl unnötig geworden. Doch das entpuppte sich nun als Wunschdenken. Der Frust im Land sitzt tief. Bereits bei den Kommunalwahlen straften die Wähler die beiden großen Parteien, vor allem die Konservativen von May ab. Sollte es zu dem Triumphzug für Nigel Farage kommen, wäre das eine erneute Watsche für May. Aber auch die Brexit-Gegner haben wenig Anlass zur Hoffnung, dass die Wahl das Pendel nun in Richtung eines zweiten Brexit-Referendums schwingen lassen könnte.

Die Front der proeuropäischen Parteien ist zersplittert. Die Liberaldemokraten und die neu gegründete Partei abtrünniger Labour- und Tory-Abgeordneter "Change UK", die sich beide für ein zweites Referendum einsetzen, konnten sich nicht auf eine Allianz einigen. In Brüssel dürfte die Entscheidung der Briten zur Teilnahme an der Wahl keineswegs nur Begeisterung wecken.

Schon seit Wochen grummelt vor allem der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU). Er habe ein Problem damit, dass ein zum Austritt entschlossenes Land noch einmal über die Zukunft der EU mitentscheide, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im französischen Fernsehen. "Das ist eine Frage, die ich nicht voll verstehe und nicht voll unterstütze."

Auch der Brexit-Beauftragte des Parlaments, Guy Verhofstadt, ist genervt. Er fürchte eine "vergiftete" Europawahl, ereiferte er sich in der letzten Sitzungswoche Mitte April. Das Europaparlament werde zum Taubenschlag: "Britische Abgeordnete fliegen ein, britische Abgeordnete fliegen wieder aus." Tatsächlich schafft die Teilnahme der Briten für die EU erhebliche Probleme - organisatorisch und politisch. Zum einen liegt damit die recht mühsam ausbaldowerte Parlamentsreform auf Eis.

Denn mit Blick auf den Brexit waren die 73 britischen Sitze bereits zum Teil unter den EU-Staaten neu verteilt und zum Teil in einer Reserve geparkt worden. Die Zahl der Abgeordneten sollte von 751 auf 705 fallen. Der Beschluss von 2018 hatte vorsorglich eine Klausel, dass das Gesetz nur bei einem Brexit wirklich vollzogen wird. Es muss nun also nichts geändert werden. Kommt der britische EU-Austritt aber doch irgendwann, träte die Reform dann in Kraft.

Die britischen Abgeordneten würden zurück in die Heimat ziehen und Listenkandidaten aus Frankreich, Spanien, Kroatien und anderen Ländern nachrücken. 46 Sitze würden dann im Plenum in Straßburg und Brüssel abmontiert. Lästiger noch als das Organisatorische sind für einige Parteien die politischen Folgen.

Kaum jemand hat die etablierten Parteien in den vergangenen Jahren so genervt wie Farage, der immerhin schon seit 1999 als Europaabgeordneter in Brüssel gegen Britanniens Unterjochung durch Brüssel wettert. Britische Nationalisten könnten das rechtspopulistische Lager im neuen Parlament insgesamt stärken und Mehrheiten in der Mitte schwieriger machen. Die prognostizierten 20 Abgeordneten der Labour Party könnten die sozialdemokratische Fraktion im Parlament aufpäppeln, die wenigen erwarteten Tories die konservative Fraktion EKR stabilisieren.

Nur einer hat gar nichts davon: Manfred Weber, dessen EVP keinen britischen Ableger hat. Die britische Wahl könnte Kräfte im Haus verschieben und womöglich Webers Traum gefährden: als Spitzenkandidat der stärksten Fraktion neuer Präsident der EU-Kommission zu werden.

Am Ende könnte die EVP nur noch knapp vorne liegen. Das ganze gilt vielleicht nicht lange, aber wohl ausgerechnet in einer für die EU entscheidenden Zeit. Denn die Suche nach dem Personal für die EU-Spitzenposten - wie auch Ausschussvorsitzende und das Parlamentspräsidium - soll sofort nach der Wahl beginnen. Eine Verschiebung bis zum Ende der Brexit-Frist am 31. Oktober wolle man das nicht, sagt ein EU-Diplomat. Denn wer wisse schon, wann der Brexit komme. Oder ob überhaupt.

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