Militärexperten fordern "Eskalationskontrolle" und diplomatischen Bemühungen durch die USA
"Die Eskalationsrisiken für einen Atomwaffeneinsatz stehen auf Höchststand seit der Kubakrise", so der Oberst Wolfgang Richter bei einer Diskussionsrunde des Österreichisch-Deutschen Länderforums über die Gefahr eines Atomkriegs am Dienstag. Russland hatte vermehrt mit Atomschlägen gedroht. Die geladenen Experten, darunter auch Brigadegeneral Helmut W. Ganser und Brigadier Walter Feichtinger, forderten stärkere diplomatische Bemühungen, besonders von den USA.
"Nur Biden und Putin können diesen Krieg beenden", sagte Ganser. Putin sei es klar, dass die ukrainische Verteidigung von den USA abhängig sei, so der deutsche Brigadegeneral: "Ohne die Unterstützung würde die Ukraine nicht mehr existieren." Ein Ausarbeiten von "Ausstiegsmöglichkeiten" aus dem Krieg sei nötig. "Präsident (Joe) Biden ist in der Pflicht, zu versuchen, diesen Krieg zu beenden", forderte Richter. Das wäre keine Kapitulation vor "Imperialismus und Annexionen", sondern notwendig, um ein "Umkippen in eine nuklearen Katastrophe zu verhindern", fügte er hinzu.
Atomarer Tabubruch
"(Wladimir) Putin würde nicht zurückschrecken", glaubt Ganser. Der russische Präsident wisse um die höhere Leidensbereitschaft seiner Bevölkerung als die des Westens und würde in größter Not auch nicht den Status eines Pariastaates scheuen. Währenddessen sieht Brigadier Feichtinger keine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines atomaren "Tabubruchs". Putin habe immer rational gehandelt: "Ich glaube, die Risikobereitschaft ist nicht so groß, dass sie bis zur Selbstvernichtung reicht."
Die russische Nukleardoktrin sieht vor, Atomschläge nur im Fall einer "existenziellen Bedrohung" für den eigenen Staat durchzuführen. Der ukrainische Vormarsch in von Russland annektierte Gebiete stelle keine "existenzielle Bedrohung" und auch keine Gefahr für einen Atomschlag dar, so Feichtinger: "Die (Halbinsel) Krim ist die rote Linie. Die Krim ist militärstrategisch als Stützpunkt für die russische Schwarzmeerflotte unverzichtbar."
Die Gefahr eines Atomschlags auf die Ukraine wäre gegeben, wenn Russland eine "taktische Lücke" überbrücken möchte, glaubt Feichtinger: "Sie können die Ukraine nicht mit Raketen und Luftschlägen in Schach halten." Um die Zeit zwischen jetzt und dem Eintreffen von durch die Teilmobilmachung neu eingezogenen Soldaten zu überstehen, wäre ein Atombombenabwurf grundsätzlich taktisch sinnvoll, so der österreichische Militärexperte: "Es gibt nur eine Möglichkeit, die Ukraine in ihren Vorgehen zu bremsen: Taktische Atomschläge."
Insgesamt gibt es weltweit ungefähr 13.000 Atomwaffen. International zählt man fünf offizielle Atommächte: Die USA, Russland, die Volksrepublik China, Großbritannien und Frankreich. Zudem verfügen auch Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea über Nuklearwaffen.
China rüste momentan sein Nukleararsenal auf, so Richter, sei aber besonders an Stabilität interessiert: "Das Letzte, was China will, ist der Bruch dieser nuklearen internationalen Ordnung." Ein taktischer Atomwaffeneinsatz würde zu einem internationalen Aufrüsten unter Ländern führen, die jetzt noch nicht über Atomwaffen verfügen, glaubt Feichtinger.