"Wenn nichts anderes übrig bleibt"

Putin spricht von wachsender Gefahr eines Atomkriegs

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Nach den vermeintlichen ukrainischen Drohnenangriffen auf russische Militärflugplätze weit im Landesinneren verstärkt sich die Sorge vor einer Eskalation des Krieges. Der russische Präsident Wladimir Putin sprach am Mittwoch davon, dass die Gefahr eines Atomkriegs wachse.

Russland sehe sein Atomwaffenarsenal nur als Abschreckung, werde sich aber "mit allen Mittel" verteidigen und wiederholte damit ähnliche Äußerungen seit Kriegsbeginn.

Zugleich wuchs die Sorge, dass sich angesichts von Truppenbewegungen in Belarus eine zweite Front für die Ukraine aufbauen könnte.

Auf der Jahrestagung des russischen Menschenrechtsrates beklagte sich Putin in einer vom russischen Fernsehen übertragenen Rede zudem darüber, dass westliche Menschenrechtsorganisationen Russland als "ein Land zweiter Klasse betrachten, das kein Recht habe, zu existieren".

Erstschlag? "Wir sind nicht verrückt geworden"

Die Antwort sei ein konsequenter Kampf für nationale Interessen. Man werde auch friedliche Mittel einsetzen. "Aber wenn nichts anderes übrig bleibt, werden wir uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen", fügte er hinzu.

Russland sehe sein Atomwaffenarsenal als Mittel zur Vergeltung, nicht zum Erstschlag. "Wir sind nicht verrückt geworden, wir wissen, was Atomwaffen sind", sagte Putin.

Es sei derzeit nicht sinnvoll, weitere Soldaten zu mobilisieren, ergänzte Putin mit Hinweis auf die bereits 300.000 einberufenen Reservisten im September und Oktober. 150.000 von ihnen würde derzeit in der Ukraine eingesetzt. Die restlichen rund 150.000 Männer seien als "Kampfreserve" auf Stützpunkten des Militärs untergebracht. Russische Truppen waren am 24. Februar in das Nachbarland Ukraine einmarschiert.

Ukraine-Krieg kann "langer Prozess" werden

Rund neuneinhalb Monate nach dem Einmarsch in die Ukraine schließt Putin einen langen Krieg gegen das Nachbarland nicht aus. "Natürlich, es kann ein langer Prozess werden", so Putin. "Aber es sind neue Gebiete aufgetaucht", fügte Putin mit Blick auf die völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Regionen Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk hinzu. "Das ist solch ein bedeutendes Ergebnis für Russland."

Putin vergleicht sich erneut mit Zar Peter I.

Einmal mehr zog der Kremlchef auch eine Parallele zwischen sich selbst und dem russischen Zaren Peter I.: "Das Asowsche Meer ist zu einem innerrussischen Meer geworden. Das sind ernsthafte Dinge. Peter der Große hat noch um einen Zugang zum Asowschen Meer gekämpft." Bereits im Sommer hatte Putin den Krieg gegen die Ukraine auf eine Ebene mit dem Großen Nordischen Krieg unter Peter Anfang des 18. Jahrhunderts gestellt.

Unabhängige russische Medien berichteten unter Berufung auf kremlnahe Kreise, die Mitglieder des Menschenrechtsrates hätten sich vor dem Treffen verpflichten müssen, bestimmte Themen nicht vor Putin anzusprechen - etwa die schlechte Ausrüstung der Armee. Die Mitglieder des Gremiums sind von Putin handverlesen, kritische Vertreter hatte er zuletzt auswechseln lassen.

Russland hatte zuletzt immer wieder gezielt die Energie- und Wasserversorgung in der Ukraine mit Raketen attackiert, nachdem sich die russischen Bodentruppen aus einigen besetzten Gebieten hatten zurückziehen müssen. Die Ukraine und der Westen werfen Russland angesichts des nahenden Winters vor, Kälte als Waffe einzusetzen. Russland weist dies zurück.

Explosionen in Russland

Auf zwei russischen Luftwaffenstützpunkten tief im Landesinneren hatte es am Montag mehrere Explosionen gegeben, für die Russland ukrainische Drohnenangriffe verantwortlich machte. Die US-Regierung habe die Regierung in Kiew dazu nicht ermutigt, betonte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Man habe mit der Ukraine sehr deutlich über die Rechenschaftspflicht in Bezug auf Waffensysteme gesprochen. "Wir haben unsere Besorgnis über eine Eskalation konsequent zum Ausdruck gebracht. Wir haben sie nicht ermutigt, dies zu tun", sagte Kirby.

Die Regierung des mit Russland verbündeten Belarus erklärte am Mittwoch, es verlege Truppen und militärische Ausrüstung, um einer terroristischen Bedrohung entgegenzuwirken. Präsident Alexander Lukaschenko, der bei der Niederschlagung eines Volksaufstandes vor zwei Jahren auf russische Rückendeckung angewiesen war, hatte bereits zugelassen, dass Belarus als Aufmarschgebiet für die russische Invasion in der benachbarten Ukraine dient. Seine eigene Armee hat er aber herausgehalten. In den vergangenen Wochen mehrten sich jedoch die Anzeichen für ein Engagement Moskaus in Weißrussland. Am Samstag flog der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu unangekündigt in die Hauptstadt Minsk. Er und sein belarussischer Amtskollege Viktor Chrenin unterzeichneten Änderungen am Abkommen über die Sicherheitskooperation der beiden Länder, ohne die neuen Bedingungen bekannt zu geben.

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