Drittes Kriegsjahr

Zwei Jahre Abwehr-Kampf: Ukraine-Krieg auf der Kippe

Teilen

Die Europäer glauben nicht mehr an Sieg, Russen sind am Vormarsch 

Lagebericht. Zu Beginn des dritten Kriegsjahres ist die Stimmung in der Ukraine nahe dem Nullpunkt: "Der Krieg steht auf der Kippe", sagte Oberst Markus Reisner, Österreichs bekanntester Militäranalyst, bei einer Podiumsdiskussion im Heeresgeschichtlichen

Museum in Wien. Die Front bröckelt. Die Ukraine steht zu Land, See, Luft unter massivem Druck - auch in der ukrainischen Zivilgesellschaft gärt es: "Zu Beginn des Krieges gab es viele Freiwillige", so die ukrainische Universitätsprofessorin Tatiana Zhurzhenko, "jetzt fehlt diese Bereitschaft sowie klare Regeln, wer an die Front muss".

Auch sind die Menschen nach zwei Jahren erschöpft. Es fehlen Perspektiven. Politisch, wirtschaftlich, militärisch. Flüchtlinge kehren nicht zurück. Dazu kommen Misserfolge an der Front: Zuletzt fiel die strategisch wichtige Stadt Awdijiwka. Gleichzeitig verstärkt das russische Militär die Angriffe entlang der 1.200 Kilometer langen Frontlinie massiv. Bis zu 500.000 russische Soldaten sind im Einsatz, zu Beginn waren es rund 150.000.

Rückzug. Selbst Präsident Wolodymyr Selenskyj muss nun eingestehen: "Die Lage ist extrem schwierig, da die russischen Truppen ein Maximum an Reserven konzentriert haben." Die Gründe für das Stocken der Erfolge der Ukraine liegen auf der Hand.

Blutbad. Die russischen Streitkräfte erleiden zwar nach wie vor hohe Verluste. Sie profitieren aber von der Verzögerung der Militär-Hilfe für Kiew. Europa und die USA können jene Munition und Ausrüstung, die die Ukraine bräuchte, gar nicht mehr schicken: "Die bis jetzt gelieferten westlichen Waffensysteme", so Oberst Reisner, "sind zwar von hoher Qualität, aber in einem Zermürbungs- und Abnützungskrieg spielt nicht Qualität, sondern vor allem die Quantität eine große Rolle."

Putin wiederum hat Russlands Wirtschaft komplett auf Militärproduktion umgestellt. Nachhaltig ist das nicht, es federt aber die Verluste durch die West-Sanktionen deutlich ab.

Langer Atem. Wie der Krieg weitergehen wird, hängt somit fast zur Gänze von der massiven Unterstützung durch den "Westen", also vorrangig der USA und der EU, ab.

Demgegenüber ist Putin inzwischen überzeugt, dass er den längeren Atem hat. Auch ist 2024 ein wichtiges Wahljahr. Russland entscheidet im März, Putin steht als Sieger fest. In den USA könnte Trump wieder an die Macht kommen. Damit müsste Europa eine noch viel stärkere Rolle übernehmen als bisher. Ob dies geschehen wird, ist eher fraglich.

Korea-Lösung. Gefragt wären deshalb politische Initiativen. Am wahrscheinlichsten ist eine "eingefrorene" Situation an der Front und eine "Korea-Lösung". Ein Abkommen zum Waffenstillstand beendete vor 70 Jahren den Korea-Krieg. Ähnlich wie in Korea könnte es künftig eine West-Ukraine und eine Ost-Ukraine geben. Dazwischen eine mehrere Kilometer breite, entmilitarisierte Zone, der neue "Eiserne Vorhang".  

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.