Nominierte EU-Kommissionspräsidentin schlägt humanitäre Korridore vor - 'Brauchen Mitgefühl und entschlossenes Handeln'.
Straßburg/Brüssel. Mit einer engagierten und teils persönlich gefärbten Rede hat Ursula von der Leyen im Europaparlament für ihre Wahl zur nächsten EU-Kommissionspräsidentin geworben. Die Brüsseler Behörde will sie mit der "Courage und Kühnheit" von Pionierinnen führen. "Aufstehen für unser Europa", lautete die Aufforderung der CDU-Politikerin am Dienstag in Straßburg.
Von der Leyen kündigte an, die Einheit Europas gegen Versuche der Spaltung und globale Herausforderungen zu verteidigen. Sie bezeichnete sich als "leidenschaftliche Kämpferin" für die Europäische Union - "Wer Europa schwächen will, findet in mir eine erbitterte Gegnerin", so von der Leyen, die mit den Worten "Lang lebe Europa" ihre Rede schloss und dafür großen Applaus und Standing Ovations erhielt.
Den Brexit bezeichnete von der Leyen als ernste Angelegenheit. Protest gab es bei ihrer Erklärung, dass sie notfalls - aus "guten Gründen" - bereit wäre, das Austrittsdatum 31. Oktober erneut zu verschieben. Am ausgehandelten Austrittsvertrag der EU mit Großbritannien könne aber nicht gerüttelt werden. "Er schafft Sicherheit in einer Zeit, in der der Brexit für Unsicherheit sorgt." Zur Entscheidung der Briten für den EU-Austritt 2016 sagte sie: "Das ist eine ernste Entscheidung. Wir bedauern sie, aber wir respektieren sie."
Rede auf Französisch, Deutsch und Englisch
Von der Leyen, die in Brüssel geboren wurde und die ersten Jahre auch dort in die Schule ging, hielt ihre Rede auf Französisch, Deutsch und Englisch. Erstes zentrales Thema war der Kampf gegen den Klimawandel. Der demografische Wandel, die Veränderungen der Weltwirtschaft, der Klimawandel seien keine "Metaentwicklungen", betonte von der Leyen. Wissenschafter hätten diese lange vorausgesagt, so von der Leyen. "Das Neue ist, dass wir als Bürgerinnen Europas die Auswirkungen spüren", erklärte sie. Die größte Verantwortung sei es, den Planeten "gesund zu halten".
Die deutsche Verteidigungsministerin versprach deshalb, in ihren ersten 100 Tagen im Amt einen "Green Deal für Europa" vorzulegen. Sie kündigte ein Gesetz an, in dem das Ziel festgeschrieben ist, bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Das bisherige EU-Etappenziel einer Reduzierung der Treibhausgase um 40 Prozent bis 2030 sei nicht ausreichend. Die EU müsse "weiter gehen", sagte sie.
Will Migrations-Streit beenden
In Sachen Migrationspolitik kündigte von der Leyen einen neuen Versuch an, den jahrelangen Streit innerhalb der EU zu lösen. Sie wolle deshalb einen Vorschlag für einen neuen "Pakt für Migration und Asyl" vorlegen. Gleichzeitig forderte sie einen Ausbau der europäischen Frontex-Grenzschutzagentur auf 10.000 Mann bis 2024 und will erneut eine Reform des Dublin-Systems für Asylsuchende angehen. Zugleich bekannte sie sich zur Seenotrettung im Mittelmeer. "Auf See ist es die Pflicht, Menschenleben zu retten", so von der Leyen.
Die EU müsse nun Einheit zeigen und für ihre Werte einstehen, so von der Leyen. Heute sei klar, "dass wir wieder kämpfen müssen, dass wir wieder aufstehen müssen für unsere Europa".
Es erfülle sie mit "großem Stolz", dass mit ihr nun erstmals eine Frau Kandidatin für den Posten der EU-Kommissionspräsidentin sei, sagte von der Leyen. Sie verwies auf ihre eigene Familiengeschichte und Erzählungen ihres Vaters über die Schrecken des Krieges und das Friedenswerk, das durch den Aufbau Europas geschaffen wurde.
Schwierige Verhandlungen
Von der Leyen war nach schwierigen Verhandlungen von den Staats-und Regierungschefs Anfang Juli als Nachfolgerin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagen worden. Das Europaparlament entscheidet am Dienstagabend über die Ernennung. Von der Leyen braucht dabei eine Mehrheit der 747 Mandate im Parlament, also mindestens 374 Stimmen. Diese war im Vorfeld der Abstimmung nicht sicher.
Die Sozialdemokraten, die mit 153 Abgeordneten die zweitgrößte Gruppe im Parlament stellen, wollen nach der bis zum Mittag angesetzten Debatte bei einer Fraktionssitzung über ihr Abstimmungsverhalten diskutieren. Bisher ist die Gruppe in der Frage gespalten. Kritik gab es vor allem daran, dass von der Leyen keine der Spitzenkandidaten bei der EU-Wahl im Mai war.
Unterstützung aus eigener Parteienfamilie
Unterstützung für die deutsche Christdemokratin kam ihrer eigenen Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP), sowie von den Liberalen. Die Grünen konnte von der Leyen auch mit ihrer Rede am Dienstag nicht überzeugen. "Ihre Vorschläge bleiben relativ vage", kritisierte Lamberts in Hinblick auf von der Leyens Aussagen zu Klimaschutz und Asylpolitik. Auch die rechte Fraktion "Identität und Demokratie" (ID), der die FPÖ angehört, will gegen die CDU-Politikerin stimmen. "Wir werden leider nicht für sie stimmen können", sagte auch Martin Schridewan von der Linken-Fraktion und forderte ein Ende der Austeritätspolitik.
Die rechtsnationale Fraktion im Europaparlament (EKR) hielt sich die Wahl von der Leyens zunächst noch offen und wollte am Nachmittag entscheiden, ob sie ihre Stimme der Kandidatin geben werde.
Die Wahl ab 18.00 Uhr findet in geheimer Abstimmung statt. Die Auszählung der Stimmzettel kann einem Sprecher des Parlaments zufolge bis 20.00 Uhr dauern.