Urteil

Freisprüche im Fall "Cap Anamur"

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Der Prozess wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung endet damit nach drei Jahren.

Im drei Jahre dauernden Prozess gegen den früheren Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur, Elias Bierdel, in Italien ist es am Mittwoch zu einem Freispruch gekommen. Das Strafgericht von Agrigent auf Sizilien hat auch den Kapitän Stefan Schmidt, sowie den russischen Offizier Russe Wladimir Dschkewitsch freigesprochen. Den Angeklagten war Beihilfe zur illegalen Einwanderung vorgeworfen worden. Konkret ging es um eine Rettungsaktion, bei der 37 afrikanische Flüchtlinge im Juni 2004 illegal nach Italien gelangten.

Die Staatsanwaltschaft beantragte je vier Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 400.000 Euro für Bierdel und Schmidt. Für Dschkewitsch war der Freispruch beantragt worden. Bierdels Vorgehen war auch innerhalb seiner Organisation umstritten. Im Oktober 2004 wurde er als Vorsitzender abgewählt. Der Prozess gegen Bierdel begann am 27. November 2006.

Erleichterung
Die Hilfsorganisation Cap Anamur reagierte mit großer Erleichterung auf den Freispruch ihres früheren Vorsitzenden. "Der Freispruch ist das folgerichtige Urteil eines fragwürdigen Strafprozesses. Denn die Rettung von Menschenleben darf nicht juristisch geahndet werden", erklärte das Notärztekomitee am Mittwoch in Köln unmittelbar nach dem Urteil des Strafgerichts im italienischen Agrigent.

"Selbst der Staatsanwalt musste in seinem Plädoyer anerkennen, dass die 37 Menschen ohne das schnelle und beherzte Eingreifen der "Cap Anamur"-Crew ertrunken wären", betonte die Organisation in Köln. Zivilcourage dürfe nicht bestraft werden. "Es ist ein wichtiger Tag für die humanitäre Arbeit und ein Erfolg für die Menschlichkeit", sagte die Vorsitzende Edith Fischnaller. "Rettung ohne Wenn und Aber in größter Not ist ein unumstößlicher Grundsatz von Cap Anamur. Wir werden da weiter machen, wo immer unsere Hilfe benötigt wird und Leben retten."

Chronologie Fall "Cap Anamur"
Februar 2004
Die deutsche Hilfsorganisation nimmt ihr erstes eigenes Schiff in Betrieb: Die "Cap Anamur", die vom Containerfrachter zum Hilfs- und Rettungsschiff umgebaut wurde, macht ihre Jungfernfahrt in Richtung westafrikanische Küste.

20. Juni 2004
Die Besatzung sichtet auf offener See zwischen Libyen und der italienischen Insel Lampedusa ein mit 37 afrikanischen Flüchtlingen völlig überfülltes Schlauchboot mit Motorschaden. Die Männer werden an Bord genommen und medizinisch versorgt.

2. Juli 2004
Die italienischen Behörden widerrufen nach Angaben der Organisation überraschend eine Genehmigung, nach der die "Cap Anamur" mit den Flüchtlingen den Hafen Empedocle im Süden Siziliens anlaufen sollte. Das Schiff habe zuvor ein zu Malta gehörendes Seegebiet passiert - deshalb müssten Asylanträge dort gestellt werden, lautete die Begründung.

7. Juli 2004
Das Schiff darf weiter nicht im Hafen Empedocle anlegen. Nach Angaben der Organisation kreisen über der "Cap Anamur" Hubschrauber, um die Besatzung einzuschüchtern.

9. Juli: 2004
Die Vereinten Nationen urgieren schnelle Hilfe für die Flüchtlinge und fordern die italienischen Behörden zum Einlenken auf.

11. Juli 2004
Das Flüchtlingsdrama spitzt sich zu. Der Kapitän der "Cap Anamur" setzt einen Notruf ab und steuert dann mit voller Fahrt den Hafen an, wird aber von der italienischen Küstenwache gestoppt.

12. Juli 2004
Das Rettungsschiff darf schließlich den Hafen anlaufen, die 37 Flüchtlinge können von Bord gehen. Wenige Stunden später folgt die überraschende Wendung: Die Behörden verhaften Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel, Kapitän Stefan Schmidt und ein weiteres Besatzungsmitglied wegen Begünstigung illegaler Einwanderung und beschlagnahmen das Schiff. Die Flüchtlinge werden in Abschiebehaft gebracht.

13. Juli 2004
Die Verhaftung Bierdels belastet die deutsch-italienischen Beziehungen. Die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) fordert seine sofortige Freilassung. Auch andere Politiker kritisieren, die Lebensretter würden kriminalisiert.

16. Juli 2004
Die drei Cap-Anamur-Mitarbeiter werden wieder auf freien Fuß gesetzt, die Vorwürfe gegen sie bleiben aber bestehen.

17. Juli 2004
Bierdel kehrt nach Deutschland zurück. In Deutschland regt sich inzwischen auch Kritik am Vorgehen der Helfer, selbst von Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck: Die Besatzung habe auf See sechs Tage lang auf Kamerateams und Bierdel gewartet, was nach Geheimplänen rieche. Cap Anamur lebe aber von Transparenz.

22. Juli 2004
Die Debatte um das Flüchtlingsdrama reißt nicht ab. Unterdessen werden 25 der Geretteten in ihre Heimat Ghana gebracht, sechs weitere werden wegen heftiger Gegenwehr aus der Maschine zurückgeholt. Fünf Nigerianer wurden schon zwei Tage zuvor ausgeflogen. Einer der Geretteten soll in Italien bleiben dürfen, weil er bei der Untersuchung der Fahrt des Flüchtlingsschiffs geholfen habe.

3. Oktober 2004
Die Organisation Cap Anamur wählt Elias Bierdel als Vorsitzenden ab, Edith Fischnaller wird seine Nachfolgerin.

18. Februar 2005
Die italienischen Behörden geben das Schiff "Cap Anamur" wieder frei. Zuvor hatte die neue Vorsitzende mitgeteilt, es solle künftig nicht mehr zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer eingesetzt werden.

27. November 2006
In Sizilien beginnt der Prozess gegen Elias Bierdel, den Kapitän sowie den ersten Offizier des Schiffs. Die Angeklagten weisen die Vorwürfe zurück.

7. Oktober 2009
Ein italienisches Gericht spricht Bierdel, den Kapitän und den ersten Offizier des Schiffs frei.

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