Libanon

Hunderttausende bei Minister-Begräbnis

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Hunderttausende von Libanesen sind am Donnerstag auf die Straße gegangen, um den Trauerzug des am Dienstag ermordeten antisyrischen Industrieministers Pierre Gemayel zu begleiten.

Sie schwenkten die libanesische Fahne, und viele von ihnen trugen Bilder des Getöteten und des vor eineinhalb Jahren ermordeten früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Der Leichnam Gemayels wurde vom Stammsitz seiner Familie in Bikfaja nordöstlich von Beirut zu einer Kirche in der Hauptstadt gebracht.

Alle Schulen und Behörden zu
Die antisyrische Regierungsmehrheit hatte die Libanesen aufgerufen, aus der Beerdigung eine Demonstration "für die Freiheit" zu machen. Ministerpräsident Fouad Siniora, zu dessen Koalition Gemayel gehörte, hatte die Schließung aller Schulen und Behörden an diesem Donnerstag angeordnet.

Machtdemonstration
Libanesische Beobachter sehen in dem großen Trauerzug auch eine Machtdemonstration, mit der die Regierungsmehrheit den prosyrischen Kräften unter Führung der schiitischen Hisbollah zeigen will, dass die Mehrheit der Libanesen hinter ihr steht. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hatte damit gedroht, die Regierung mit Massenprotesten zu stürzen, falls diese Neuwahlen oder die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit weiterhin ablehnen sollte.

Auf offener Straße erschossen
Gemayel (34) war am Dienstag auf offener Straße erschossen worden. Der maronitische Christ entstammt einer Politikerdynastie. Seine Verbündeten machen Syrien für den Mord verantwortlich. Die libanesische Regierung hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet.

UNO-Generalsekretär Kofi Annan sprach am Dienstag (Ortszeit) von " kaltblütigem Mord". Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte den Anschlag und sprach sich für die Einsetzung eines Tribunals aus, das die Hintergründe der Ermordung des früheren Regierungschefs Rafik Hariri aufklären soll. Tausende begleiteten am Mittwoch die Überführung der Leiche Gemayels in seinen Heimatort im Osten Beiruts.

Ermordung wird international verurteilt
Die Regierungen der USA, Deutschlands und Frankreichs verurteilten den Mord an Gemayel, der aus einer bekannten Politiker-Familie maronitischer Christen stammt. Der 34-Jährige war der Sohn des ehemaligen Präsidenten Amin Gemayel und der Neffe des 1982 ermordeten Staatschefs Beshir Gemayel. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach am Mittwoch im Bundestag von einem "feigen Mord" und trat für die Selbstständigkeit des Libanon ein. US-Präsident George W. Bush erklärte: "Heute haben wir wieder die böse Fratze derer gesehen, die die Freiheit verachten." Der Präsident warf dem Iran und Syrien vor, im Libanon "Instabilität" zu schüren.

Innenpolitischer Machtkampf im Libanon
Die Regierung Sinioras, die nach dem Rücktritt von sechs pro-syrischen Ministern geschwächt ist, muss mit dem Tod von Gemayel einen schweren Verlust verkraften. Die von Syrien unterstützte Hisbollah-Partei, die aus dem Konflikt im Sommer mit Israel gestärkt hervorging, hatte wiederholt zu Massendemonstrationen aufgerufen, um eine Regierungsumbildung zu erzwingen. Siniora forderte die Libanesen auf, den Mördern nicht die Kontrolle über das Schicksal des Landes zu überlassen.

Zugleich verurteilte auch die Hisbollah die Ermordung Gemayels. Sie forderte, dass die innenpolitischen Differenzen auf einem demokratischen und friedlichen Weg gelöst werden sollen. Insider vermuten aber dennoch, dass die Schiitenbewegung erneut versuchen werde, den amtierenden Regierungschefs Siniora zu stürzen.

Schwere Vorwürfe an Syrien
Begleitet von Schmährufen gegen das Nachbarland Syrien haben die Anhänger Gemayels am Mittwoch den Leichnam des Getöteten nach Bikfaya getragen. Tausende Menschen in schwarzer Kleidung säumten die Straßen in dem Bergdorf nordöstlich von Beirut. Einige von ihnen riefen: "Tod für Syrien!". Der Vater des Ministers, Ex-Präsident Amin Gemayel, rief die Trauergäste zur Besonnenheit auf. "Ich bitte euch, Ruhe zu bewahren, und verspreche euch, dass sein Tod nicht ungesühnt bleiben wird", sagte er. Da Gemayels rechtsgerichtete maronitische Falange (Kataeb) zur Koalition der antisyrischen Kräfte gehört, hatten seine politischen Freunde automatisch Syrien für das Attentat verantwortlich gemacht.

Getöteter als "Märtyrer"
Der Tag, an dem der Libanon Abschied nehme von Pierre Gemayel, sei der Tag der Verteidigung der Gerechtigkeit, sagte der Chef der antisyrischen Mehrheitskoalition, Saad Hariri. Staatspräsident Emile Lahoud, den die Koalition als Befehlsempfänger Syriens betrachtet, rief die Bevölkerung zur Einigkeit auf. Die " Verbrecher" müssten gefunden werden, sagte er. Unbekannte hatten am Dienstag bei Beirut auf den in seinem Wagen sitzenden Gemayel geschossen und ihn tödlich verletzt. Die Beiruter Presse würdigte den Politiker am Mittwoch als "Märtyrer".

Der Drusenführer und Chef der zur antisyrischen Koalition gehörenden Sozialistischen Fortschrittspartei, Walid Joumblatt, machte die syrische Regierung für den Mord verantwortlich. Der Anschlag solle dem libanesischen Volk Angst einjagen, sagte Joumblatt, ein ehemaliger Verbündeter der Syrer. Die libanesische Regierung unterstütze die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs zur Aufklärung des Mordes an dem früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Februar 2005. Die syrische Regierung aber sei gegen ein solches Gericht.

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