Das ungarische Parlament hat am Dienstag den bisherigen parteilosen Wirtschaftsminister Gordon Bajnai zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Demonstranten zogen währenddessen zum Sitz des Staatspräsidenten.
Die Kür von Gordon Bajnai zum neuen ungarischen Regierungschef war am Dienstag in Budapest von heftigen Protesten überschattet. Tausende Demonstranten marschierten am Abend zum Sitz von Staatspräsident Laszlo Solyom auf dem Budaer Burgberg. Mit ihrem Protest wollen die Teilnehmer der Aktion erreichen, dass Solyom vorgezogene Wahlen ausschreibt. Die Demonstranten wurden mittels Straßensperren an ihrem Vorhaben gehindert.
Neuer Regierungschef
Bereits am Nachmittag hatten rund 8.000
Menschen am Kossuth-Platz vor dem Parlament für vorgezogene Wahlen
demonstriert. Im Parlament selbst ging die Wahl des neuen Regierungschefs
vonstatten. Nachdem mit 204 Ja-Stimmen erfolgreich über den konstruktiven
Misstrauensantrag gegen Premier Ferenc Gyurcsany abgestimmt worden war,
gelangte der parteilose Wirtschaftsminister Gordon Bajnai automatisch in das
Amt.
Debakel droht
Der bisherige Regierungschef wollte mit dem
Misstrauensvotum vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise einen
Regierungswechsel ohne Neuwahlen erreichen. Nach Umfragen würde der
regierenden Sozialistischen Partei (MSZP) ein Debakel drohen, da sie aktuell
nur mit zehn Prozent der Wählerstimmen rechnen könnte. Die
rechtskonservative Opposition verlangt vorgezogene Wahlen.
Neuwahlen gefordert
Tibor Navracsics, Fraktionschef des
oppositionellen rechtskonservativen Fidesz-MPSZ, hatte in seiner Rede
gefordert, Bajnai solle dem "Theater ein Ende setzen und Neuwahlen
verkünden". Auch die rechtskonservativen Christdemokraten (KDNP)
erklärten, nicht mit Bajnai verhandeln zu wollen. Das konservative
oppositionelle Demokratenforum (MDF) forderte gleichsam vorgezogene Wahlen,
ist aber bereit, Bajnai anzuhören.
Amtseid
Gordon Bajnai leistete nach dem Misstrauensvotum den
Amtseid, empfing Gratulationen der regierenden Sozialisten (MSZP) und der
diese unterstützenden oppositionellen Liberalen (SZDSZ). Einen Händedruck
gab es auch von Vertretern der rechtskonservativen Opposition, die Bajnai
und sein Krisenmanagementaber scharf ablehnen. In der Ehrenloge des
Parlaments wurde Bajnai von Staatspräsident Laszlo Solyom als neuer
Regierungschef begrüßt. Auch Solyom hatte im Vorfeld des Misstrauensvotums
für vorgezogene Wahlen plädiert.
Gänse und Tränengas
Inzwischen wurden auch die rund 60
Gänse eingesammelt, die Mitglieder der rechtsextremen "Ungarischen Garde"
aus Protest gegen den neuen Premier freigelassen hatten. Bajnai wird
vorgeworfen, als Geschäftsführer eine Fleischverarbeitungsfirma in den Ruin
getrieben zu haben. Es wurden rund 1.500 Demonstranten von der Polizei mit
Tränengas aus der Schutzzone am Parlament gedrängt.