102 Stimmen Vorsprung: Martine Aubry wird neue Sozialisten-Chefin in Frankreich. Das ergab die Neuauszählung, die die Royal-Anhänger urgierten.
Der Machtkampf um die Führung der französischen Sozialisten ist am Dienstag zugunsten der früheren Arbeitsministerin Martine Aubry ausgegangen. Sie hat die Stichwahl der Parti Socialiste (PS) um das Amt des Parteichefs mit 102 Stimmen Vorsprung gewonnen und wird nun erste Frau an der Spitze der Partei. Dies ergab die von Aubrys Gegnerin Segolene Royal geforderte Neuauszählung der Urabstimmung vom Freitag. Der Nationalrat der Partei bestätigte das neue Ergebnis der Wahlkommission am Abend mit 159 zu 76 Stimmen.
Betrugsvorwürfe
Aus der ersten Auszählung war Aubry, die für
den linken Flügel der Partei steht, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 42
von insgesamt rund 135.000 Stimmen hervorgegangen.
Ex-Präsidentschaftskandidatin Royal warf ihr daraufhin Betrug vor und
forderte eine Neuwahl. Noch am Dienstag erklärten die "Royalisten" in der
parteiinternen Wahlkommission, angesichts "zahlreicher Unregelmäßigkeiten
und der Unmöglichkeit, diese zu korrigieren", sei eine neue Abstimmung
notwendig. Doch der Nationalrat, eine Art Parteiparlament mit 306
Mitgliedern, folgte ihr nicht und bestätigte den Bericht der Wahlkommission.
Damit ist Royal zur Anerkennung ihrer Niederlage gezwungen.
Zerreißprobe
Der Streit der vergangenen Tage zwischen Aubry
und Royal, die ihre Partei in die Mitte führen wollte und einen harten
Generationenwechsel forderte, hatte die Partei in eine Zerreißprobe
gestürzt. Die PS sei "implodiert", machte sich ein Sprecher des
konservativen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy lustig. Die linksgerichtete
Zeitung "Liberation" taufte die Parti Socialiste in Parti Suicidaire
(Selbstmordpartei) um. Das Duell war auch bedeutend, weil der Parteichef
beste Aussichten auf die Präsidentschaftskandidatur der Linken für die
nächste Wahl 2012 hat.
Gewaltige Aufgaben
Nach der Bestätigung der Urabstimmung wird
Aubry die Nachfolgerin des glücklosen Francois Hollande. Die "erste
Sekretärin" muss nun den Scherbenhaufen wieder kitten. Die Tochter des
früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors gilt mit ihrer
bodenständigen Art zwar als Integrationsfigur und hat die meisten
langjährigen Führungskräfte hinter sich. Als "Mutter der 35-Stunden-Woche"
gilt sie seit Ende der 90er Jahre als Symbol für den Kampf der Sozialisten
um soziale Gerechtigkeit.
Royal hat mit ihrem beachtlichen Ergebnis bei der Urabstimmung gleichwohl bewiesen, dass sie trotz ihrer Außenseiterposition großen Rückhalt in der Basis hat. Durch ihre Niederlage droht die PS ihre populärste - wenngleich auch umstrittenste - Politikerin zu verlieren.