Ukrainischer Botschafter im Interview

'Russland lügt, hat gelogen und wird weiter lügen'

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Vasyl Khymynets ist seit Oktober der neue Botschafter der Ukraine in Österreich. 

ÖSTERREICH: Wie groß ist die Kriegsgefahr tatsächlich?
VASYL KHYMYNETS: Diese Frage müsste man Russland stellen. Weil die Situation zeigt, dass die Gefahr einer möglichen weiterer Eskalation von Russland ausgeht. Wir, die Ukraine und unsere internationalen Partner, tun unermüdlich alles, um weitere Eskalationen zu verhindern.

ÖSTERREICH: Die Friedensgespräche drohen zu scheitern. Warum gibt es keine Fortschritte?
KHYMYNETS: Die Ursache dafür ist nicht die Ukraine. Putin versucht alles, um zu verhindern, dass die Ukraine ihre Außenpolitik souverän gestaltet. Es geht für ihn um den Aufbau eines Imperiums in Anlehnung an die frühere Zeit. Putin ist wahrscheinlich der einzige Politiker der Welt, der noch immer um den Zerfall der Sowjetunion trauert. Für uns ist klar: Er ist rückwärtsgewandt. Die Ukraine, die der EU und NATO beitreten will, zukunftsorientiert.

ÖSTERREICH: Es geht ihm also um Gebietszugewinne.
KHYMYNETS: Schwer zu sagen, was man in Kreml im Kopf hat. Wir sehen jedenfalls eine massive Präsenz der russischen Truppen vor der Grenze.

ÖSTERREICH: Es gab zuletzt Berichte, dass diese Zahlen gestiegen sind.
KHYMYNETS: Unser Verteidigungsminister geht von 120.000 Soldaten aus. Diese Zahl ist seit April mehr oder weniger stabil.

ÖSTERREICH: Der Präsident der Duma (russ. Parlament) sagte kürzlich, er mache sich Sorgen um die Sicherheit der in der Ostukraine lebenden Russen. Die Rhetorik erinnert an die Krim-Besetzung. Wird ein Vorwand konstruiert?
KHYMYNETS: Es gibt fast jeden Tag Aussagen hochrangiger russischer Politiker. Ihr einziges Interesse ist, dass die Ukraine als souveränes selbstständiges Land nicht existieren darf. Sie suchen immer nach einem Vorwand, um die Ukraine zu bedrohen und die aggressive Politik Moskaus zu rechtfertigen. Wir sind fast schon immun gegen solche Aussagen. Russland spricht immer von Bedrohungen und ich beobachte, dass sich die Medien in Österreich bemühen, Russland zu verstehen. Warum gibt es diese Putin-Versteher? Wer bedroht Russland? Das ist ein Mythos. Schon der erfahrene deutsche Diplomat und frühere Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sagte: “Weder in Polen noch in den baltischen Staaten dürfen nukleare Waffen disloziert werden, das wurde vor der damaligen NATO-Erweiterung vereinbart. Russland aber kann mitten in der EU bzw. der NATO nukleare Waffen in Kaliningrad stationieren, die Berlin in wenigen Minuten in Schutt und Asche legen könnten. So viel zur Einkreisung Russlands durch das Bündnis.“ Reden wir doch über die Interessen von Georgien, der Ukraine und Moldawien. Russland lügt, Russland hat gelogen und Russland wird weiter lügen. Es gab schon bei der Krim-Annexion kein Notwendigkeit, einzumarschieren. Die Ukraine hat nie die russischsprachige Bevölkerung bedroht.

ÖSTERREICH: Wird die Ukraine die Gaszufuhr nach Europa unterbrechen, falls Russland einmarschiert?
KHYMYNETS: Die Ukraine hat noch nie den Gastransport in die EU unterbrochen. Der ukrainische Gastransport funktioniert und wird funktionieren. Natürlich braucht die Leitung eine Modernisierung. Es gab Gaskrisen, die Ursache war aber wieder nur Russland, das die Ukraine in ein schlechtes Licht rücken wollte. Die Gaskrisen waren immer die Folge eines bedeutenden Ereignisses in der Ukraine: beginnend 2005 bei der Orangenen Revolution.

ÖSTERREICH: Im Hinblick auf Österreichs Haltung zur Gaspipeline Nord Stream 2 meinte Ihr Vorgänger, Österreich sei „nahe am Verrat“. Sehen Sie das auch so?
KHYMYNETS: Die Ukraine hat Nord Stream 2 immer abgelehnt, weil es kein wirtschaftliches sondern ein politisches Projekt ist. Es ist das Spiel von Putin, Europa von Russland abhängig zu machen und zu spalten, weil er weiß, dass viele Länder dagegen sind. Ich sehe aber immer mehr Signale, dass dieses Projekt in die Liste der Sanktionen kommen soll. Wir blicken aber nach vorne. Wir erkennen die Realitäten. Stichwort: Grüne Energie. Wir arbeiten sehr intensiv mit Österreich an der Entwicklung von Wasserstoff als Alternative zum Gas. Das ist unsere Antwort. Diese strategischen Projekte sind unser Beitrag zu einem starken Europa. Am 24. Jänner haben wir das 30-jährige Jubiläum der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Österreich gefeiert. Unser Ministerpräsident und ihr Bundeskanzler hatten ein sehr gutes Telefonat, nicht nur auf symbolischer Ebene. Die Regierungschefs haben vereinbart, dass es ein Wirtschaftsfourm beim Besuch des Bundeskanzlers in der Ukraine geben wird, das jährlich stattfinden sollen.

ÖSTERREICH: Was denken die Ukrainer über Europa?
KHYMYNETS: Es war ein sehr starkes und emotionales Bild, als die Ukrainer bei der Revolution der Würde, Maidan 2014, die Zukunft unseres Landes mit Flaggen der EU und der Ukraine verteidigt haben. Das war ein Zeichen des starken Interesses und Willens der Ukrainer, der EU anzugehören. Nicht als Nachbar, nicht als Partner sondern als Mitglied. Wir verstehen unsere Hausaufgaben. Wir arbeiten daran. Wir wollen etwa mit der Digitalisierung von Behördengängen die Korruption bekämpfen. Wir würden uns von Europa wünschen, dass es sich auch zu uns bekennt wie John F. Kennedy, der 1963 sagte „Ich bin ein Berliner“. Damals waren die Panzer um Westberlin.
  

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