Der weißrussische Lukaschenko holte am heutigen Sonntag einen Linienflug aus dem Luftraum seines Landes. An Bord befand sich ein berühmter Oppositioneller.
Am Sonntagnachmittag kam es in der weißrussischen Hauptstadt Minsk zu einer ungeplanten Landung eines Linienflugs von Griechenland nach Litauen. Zunächst nannten Behörden Sicherheitsbedenken als Grund für die Ablenkung des Flugzeuges durch Weißrussland. Dann stellte sich heraus: An Bord befand sich mit Roman Protassewitsch einer der prominentesten oppositionellen Blogger Weißrusslands, der nach der Landung festgenommen worden sein soll. Exilpolitiker Pawel Latuschko sprach von einem "Akt des internationalen Terrorismus". Litauen forderte eine Reaktion von EU und NATO. Auch Österreichs Außenministerium kritisierte die Umleitung. Offenbar befand sich auch ein Österreicher an Bord der Maschine.
Angeblich Bombe an Bord
Wenige Minuten bevor die Boeing 737 der irischen Fluggesellschaft Ryanair kurz vor 13 Uhr Ortszeit den weißrussischen Luftraum wieder verlassen und über Litauen mit dem Landeanflug auf Vilnius begonnen hätte, hatte sie überraschend abgedreht und war schließlich in Minsk gelandet. Es habe Informationen über eine Bombe an Bord gegeben und Präsident Alexander Lukaschenko habe deshalb den Befehl erteilt, den Flug umzuleiten und zu empfangen, berichtete der regimenahe weißrussische Telegramkanal "Pul Pervogo" am Nachmittag. Explosive Stoffe seien jedoch nicht gefunden worden, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Belta.
A Ryanair flight #FR4978 from Athens to Vilnius, diverted to Minsk in Belarus earlier today.https://t.co/rnUpiqOjch
— Flightradar24 (@flightradar24) May 23, 2021
According to reports in media a Belarus journalist, that was onboard the flight, was arrested after the diversion to Minsk. pic.twitter.com/MQyvXsDExM
An Bord des Flugzeugs befand sich mit dem ehemaligen Chefredakteur des führenden oppositionellen Telegramkanals "NEXTA" Roman Protassewitsch einer der bekanntesten Blogger Weißrusslands (Belarus). Protassewitsch, der zuletzt im Exil lebte, wurde laut Medienberichten nach der Landung festgenommen. Neben Protassewitsch wurde am Sonntag eine russische Passagierin festgenommen, bestätigte der außenpolitische Berater von Swetlana Tichonowskaja, Franak Wjatschorka, auf APA-Nachfrage. Die Festgenommene sei in Vilnius als freiwillige Aktivistin tätig, erklärte er.
Statement von Ryanair
Die Fluglinie Ryanair bestätigte, dass die Besatzung des Fluges von weißrussischer Seite über eine mögliche Sicherheitsbedrohung an Bord in Kenntnis gesetzt und angewiesen worden sei, zum nächstgelegenen Flughafen in Minsk zu fliegen. Die Maschine sei sicher gelandet und die Passagiere seien von Bord gegangen, während die lokalen Behörden Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt hätten. Dabei sei nichts Ungewöhnliches gefunden worden. Die Behörden hätten daraufhin genehmigt, dass das Flugzeug nach schätzungsweise fünf Stunden am Boden wieder zusammen mit Passagieren und Crew starten könne.
Internationale Kritik
Der Vorfall sorgt für heftige Kritik vonseiten zahlreicher EU-Staaten, sowie durch den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. "Alle Passagiere müssen ihre Reise umgehend fortsetzen können", forderte Borrell am Sonntag im Kurzbotschaftendienst Twitter und verlangte damit ausdrücklich auch die Freilassung des Exil-Oppositionellen Roman Protassewitsch.
Die Fluggäste und Crew des Ryanair-Fluges seien auf ihrem Weg von Athen nach Vilnius in Gefahr gebracht worden, erklärte die litauische Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte am Sonntagnachmittag auf Twitter. "Wir fordern, dass dem Flugzeug und den Passagieren erlaubt wird, sofort nach Vilnius zu fliegen!"
Der litauische Präsident Gitanas Nauseda protestierte am Sonntag umgehend gegen die erzwungene Zwischenlandung und Protasewitschs Festnahme. Nauseda forderte die Verbündeten Litauens in EU und NATO zu umgehenden Reaktionen auf.
Unprecedented event! A civilian passenger plane flying to Vilnius was forcibly landed in #Minsk. Belarusian political activist & founder of @NEXTA_EN was on the plane. He is arrested. ???????? regime is behind the abhorrent action. I demand to free Roman Protasevič urgently!
— Gitanas Nausėda (@GitanasNauseda) May 23, 2021
Auch das Außenministerium sprach von "alarmierenden Berichten" und forderte "eine unabhängige internationale Untersuchung dieses Vorfalls". Alle Passagiere müssten ihre Reisen fortsetzen dürfen, forderte das Außenministerium auf Twitter und forderte "dringend die Freilassung des Aktivisten Roman Protassewitsch".
Alarming reports about a @Ryanair plane that was diverted to #Minsk. All passengers must be allowed to continue their travels & we need an independent international investigation into this incident. We urgently demand the release of activist Roman #Protasevich.
— MFA Austria (@MFA_Austria) May 23, 2021
Österreicher an Bord
Das Außenministerium in Wien bestätigte am Abend gegenüber der APA, dass sich ein österreichischer Staatsbürger an Bord des Flugzeugs befunden hatte. Die österreichische Botschafterin in Minsk begab sich zum Flughafen, um sich ein Bild der Lage zu machen.
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bezeichnete die Aktion als einen "Akt des Staatsterrorismus". Er verurteile "auf das Schärfste die Festnahme von Roman Protassewitsch durch belarussische Behörden, nachdem ein Passagierflugzeug von Ryanair entführt worden ist", so Morawiecki auf Twitter.
I have asked @eucopresident to expand tomorrow's #EUCO agenda and discuss immediate sanctions against A. Lukashenka regime. Hijacking of a civilian plane is an unprecedented act of state terrorism. It cannot go unpunished.
— Mateusz Morawiecki (@MorawieckiM) May 23, 2021
Die deutsche Regierung forderte ebenfalls eine "sofortige Erklärung" von Weißrussland. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Miguel Berger, schrieb am Sonntag im Onlinedienst Twitter, eine "sofortige Erklärung" sei nötig.
"Geheimdienstoperation zur Flugzeugentführung"
"Es ist absolut offensichtlich, dass dies eine Geheimdienstoperation zur Flugzeugentführung war, um den Aktivisten und Blogger Roman Protassewitsch zu verhaften", kritisierte die im Exil lebende weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Ab dem heutigen Tag sei klar, dass sich niemand, der über Weißrussland fliegt, in Sicherheit wiegen könne, sagte sie.
Oppositionspolitiker Pawel Latuschko ergänzte, dass dem Blogger in seiner Heimat die Todesstrafe drohe. Er forderte eine sofortige internationale Aufklärung des Zwischenfalls und eine Untersuchung, ob der internationale zivile Flugverkehr über Belarus einstweilen eingestellt werden soll.
Die Behörden in Weißrussland hatten "NEXTA" als extremistisch eingestuft. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der umstrittenen Präsidentenwahl immer wieder zu Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen. Der Geheimdienst KGB hatte den Journalisten Protassewitsch auf eine Liste mit Menschen setzen lassen, denen die Beteiligung an terroristischen Handlungen vorgeworfen werde, wie das Portal tut.by bei Telegram berichtete.