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Schock über Ausmaß der Schmiergeld-Affäre

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Die Schmiergeld-Affäre bei Siemens nimmt ungeahnte Ausmaße an. Über eine schwarze Kasse in Österreich flossen zudem 115 Mio. Euro.

Als die Münchner Staatsanwaltschaft am 15. November 2006 zur Großrazzia auf Siemens blies, erahnte noch niemand das Ausmaß des Schmiergeldsumpfs in Deutschlands Vorzeigekonzern. Einen "niedrigen zweistelligen Millionenbetrag" veruntreuter Gelder gab Siemens damals als Grund für die Ermittlungen an. Eineinhalb Jahre später steht fest, dass es um mindestens 1,3 Mrd. Euro Schmiergelder geht. Und dass einer der größten Wirtschaftsskandale in Deutschland noch immer nicht endgültig aufgeklärt ist.

Die zuletzt vermuteten 1,3 Mrd. Euro an Schmiergeldzahlungen verteilen sich vor allem auf zwei Bereiche des weit verzweigten Konzerns: Im Bereich Kommunikationstechnik Com sollen knapp 450 Mio. Euro geflossen sein, um neue Aufträge an Land zu ziehen. In der Kraftwerkstechnik PG gut 300 Mio. Euro. Dass die Summen noch immer nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten müssen, zeigt etwa die Sparte Medizintechnik: Dort waren die internen Ermittler lange von 44 Mio. Euro Schmiergeld ausgegangen, inzwischen scheinen es aber doch 70 Mio. Euro zu sein. Bekannt ist mittlerweile auch, dass das System nicht nur von Deutschland aus geführt wurde. In den ausländischen Tochterunternehmen flossen etwa 260 Mio. Euro.

Wirtschaftsskandal ungeahnter Größe
Personell führte die allmähliche Aufklärung der Vorwürfe zu einer Reihe von Rücktritten und Entlassungen - politische und durch die Last der Vorwürfe erzwungene. Musterbeispiel für einen politischen Rückzug ist jener von Siemens-Chef Klaus Kleinfeld im vergangenen Jahr. Kleinfeld konnte bisher keine Verstrickung in den Skandal nachgewiesen werden, er ging im Interesse eines Neuanfangs dennoch.

Auch Heinrich von Pierer trat vergangenes Jahr als Aufsichtsratschef zurück, obwohl ihm zum Zeitpunkt des Rücktritts kein Vergehen vorgeworfen werden konnte. Allerdings gab es schon damals Mutmaßungen, der langjährige Siemens-Chef müsse etwas gewusst haben. Nachdem sich diese Mutmaßungen zu erhärten scheinen, drohen von Pierer dafür jetzt selbst ein Ermittlungsverfahren und Schadensersatzforderungen seines früheren Konzerns. Zuletzt trat Erich Reinhardt, Vorstand der Medizintechnik-Sparte, wegen Schmiergeldzahlungen in seinem Verantwortungsbereich zurück. Reinhardt soll ebenfalls davon nichts gewusst haben.

Als aktiv an den Schmiergeldzahlungen beteiligt gilt eine Reihe von Managern aus der zweiten Reihe der Siemens-Führung. Darüber hinaus sind auch Mitglieder des Zentralvorstands ins Visier der Ermittler geraten: Der 2006 ausgeschiedene ehemalige Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger und der Ende vergangenen Jahres ausgeschiedene ehemalige Chef der Kraftwerkssparte, Uriel Sharef. Der lange als möglicher Siemens-Chef gehandelte Johannes Feldmayer musste kurzzeitig sogar in Untersuchungshaft. Dies steht aber in Zusammenhang mit dem parallel aufgeflogenen Skandal um die von Siemens mit versteckten Zahlungen angefütterte Betriebsräte-Organisation AUB. In diesem Kontext wird auch gegen den ehemaligen Aufsichtsrats-Chef Karl-Hermann Baumann ermittelt.

Juristisch ist bei der Aufarbeitung des Schmiergeld-Skandals noch lange kein Ende abzusehen. Bis jetzt gab es nur im vergangenen Oktober eine Entscheidung des Landgerichts München: Ohne Prozess wurde Siemens zu einer Geldstrafe in Höhe von 201 Mio. Euro verdonnert. Diese wurde aber nur für die 450 Mio. Euro in der Sparte Com verhängt - eine Strafe für die etwa 850 Mio. Euro Schmiergelder aus anderen Sparten steht noch aus. Darüber hinaus sind auch noch die Verurteilungen der einzelnen Manager offen. Wann der Konzern diesen beispiellosen Wirtschaftsskandal als erledigt betrachten kann, ist damit noch vollkommen unklar.

Schwarze Kasse in Österreich
Einer nun gefunden Notiz zufolge hatte ein Siemens-Jurist am 17. Oktober 2005 einen als "vertraulich" gekennzeichneten Vermerk über einen Mitarbeiter angefertigt, der eine schwarze Kasse in Österreich verwaltet hatte, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. Über diese Kasse seien der Notiz zufolge 1994 bis 1998 Zahlungen in Höhe von 115 Millionen Euro abgewickelt worden. Der Siemens-Jurist habe sich demnach dennoch gegen eine Entlassung des Mitarbeiters ausgesprochen. Damit sollte sich Siemens dessen Loyalität sichern und ein Auspacken verhindert werden.

Schock bei Siemens Chef
Für Siemens-Chef Peter Löscher war das Ausmaß der Schmiergeld-Affäre bei seinem Amtsantritt vor etwa neun Monaten nach eigenen Angaben nicht absehbar. "Ganz klar hatte ich dieses Ausmaß und die Breite nicht vor Augen, als ich meine Verantwortung übernommen habe", sagte Löscher am Mittwoch in München.

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