Steuerhinterziehung in Millionenhöhe ist der Grund für eine bundesweite Razzia, die am Mittwoch von der Hessischen Generalstaatsanwaltschaft gestartet wurde. Mehr als 1.000 Ermittler durchsuchten seit den Morgenstunden deutschlandweit mehr als 230 Objekte, darunter die Hauptverwaltung der Deutschen Bank in Frankfurt. Die Ermittler beschuldigen rund 150 Geschäftsleute, beim Handel von sogenannten Emissionsrechten die Umsatzsteuer hinterzogen zu haben.
Der Schaden soll mindestens 180 Mio. Euro betragen. Beteiligt sind nach bisherigem Ermittlungsstand etwa 50 Gesellschaften und Unternehmen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben Vermögenswerte der Verdächtigen beschlagnahmt oder unter Arrest gestellt. An der Aktion waren auch Steuerfahnder und Beamte des Bundeskriminalamtes beteiligt.
Ein Sprecher der Deutschen Bank bestätigte die Durchsuchungen beim größten deutschen Geldhaus. Von angeblichen Festnahmen sei ihm aber nichts bekannt. Zuvor hatte Hitradio FFH berichtet, dass bei der Deutschen Bank "offenbar" drei Personen festgenommen worden seien. Die Generalstaatsanwaltschaft will die Ermittlungsergebnisse zunächst am Mittwochabend bewerten und lehnte weitere Informationen ab.
Unklar blieb zunächst auch, ob in den Reihen der Banker Beschuldigte zu suchen waren oder ob es nur um den Nachweis von Zahlungsströmen ging. Beim Konkurrent Commerzbank gab es nach Angaben eines Sprechers keine Durchsuchungen. Die Bayerische Börse schloss nach Informationen der "Financial Times Deutschland" (FTD) zwei Firmen vom Emissionshandel aus.
Ebenfalls unangemeldeten Ermittlerbesuch bekam die RWE Handelsgesellschaft RWE Supply & Trading in Essen, wie das Unternehmen bestätigte. Man arbeite kooperativ mit den Behörden zusammen und sei nicht unter den Beschuldigten. Die Steuerfahnder interessierten sich den Angaben zufolge für ein Handelsunternehmen, mit dem die RWE-Tochter im Jahr 2009 Geschäfte gemacht hatte. Bei anderen Energieversorgern wie Vattenfall und EnBW war nichts von Razzien bekannt.
Nach den bisherigen Ermittlungen sollen die beschuldigten Firmen ein sogenanntes Umsatzsteuerkarussell gebildet haben. Dafür wurden über deutsche Gesellschaften Emissionsrechte aus dem Ausland gekauft und diese im Inland über zwischengeschaltete Gesellschaften weiterverkauft, ohne jeweils Umsatzsteuer zu bezahlen. Die jeweils letzte Gesellschaft in der Kette soll die Zertifikate wieder ins Ausland verkauft haben. Dafür bekam sie die Umsatzsteuer vom Finanzamt erstattet. Häufig sind mehrere Handelsfirmen bei solchen Ketten hintereinandergeschaltet, was die Ermittlungen erschwert.
Der Handel mit Verschmutzungsrechten ist ein Instrument für den Klimaschutz. Unternehmen erhalten dabei Emissions-Zertifikate, die sie zum Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) berechtigen. Nicht benötigte Papiere können zum Marktpreis weiterverkauft werden - wie an der Energiebörse European Energy Exchange (EEX) mit Sitz in Leipzig. Ein Zertifikat berechtigt zum Ausstoß von einer Tonne CO2 und wird zurzeit zwischen 15 und 16 Euro gehandelt. Überwachungsbehörde ist die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) des Umweltbundesamtes in Berlin.
Unternehmen oder Branchen, die mehr CO2 ausstoßen als zugeteilt, kaufen anderen Firmen, die sauberer produzieren, solche Verschmutzungsrechte ab. Damit können sie Kosten verringern und Strafzahlungen vermeiden. CO2 gilt als wesentlicher Verursacher der Erderwärmung. Nach dem Kyoto-Protokoll von 1997 soll der Handel bei möglichst geringen Kosten Verminderungen der klimaschädlichen Treibhausgase erreichen. Erfasst werden energieintensive Industrien - wie etwa Stromanbieter, Stahlwerke und Anlagen der Zement- oder Papierindustrie.
In der EU wird seit 2005 mit Verschmutzungsrechten gehandelt, ab 2013 wird das System EU-weit und zentral von Brüssel aus geregelt. Geplant ist eine Einbindung aller Industriefirmen mit einem jährlichen CO2-Ausstoß von mehr als 10.000 Tonnen. Die Betriebe dürfen dann nur entsprechend der erworbenen Rechte Kohlendioxid freisetzen, das beim Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle, Öl oder Erdgas entsteht.