Nach Abhörskandal

Murdoch stellt "News of the World" ein

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Britisches Boulevardblatt erscheint diesen Sonntag zum letzten Mal.

Der Skandal um illegal abgehörte Telefonate hat die traditionsreiche britische Boulevardzeitung "News of the World" in den Abgrund gezogen. Nach 168 Jahren stellt der Konzern von Medienmogul Rupert Murdoch das Blatt nach eigenen Angaben ein, am Sonntag soll die letzte Ausgabe erscheinen. Die "wiederholte Fehlverhalten" von Missetätern sei in der Redaktion nicht angemessen verfolgt worden, erklärte das Unternehmen am Donnerstag in London.

Terror- und Entführungsopfer bespitzelt
Mitarbeiter der Zeitung sollen Handys von Entführungsopfern sowie Angehörige der Opfer der Terroranschläge auf die Londoner U-Bahn 2005 abgehört haben. Auch Hinterbliebene von im Einsatz getöteten britischen Soldaten sollen bespitzelt worden sein. Scotland Yard zufolge könnten die Telefone von bis zu 4.000 Menschen angezapft worden sein. Sollten die Vorwürfe wahr sein, hätten sich die Journalisten "unmenschlich" verhalten, erklärte der Präsident des britischen Ablegers von Murdochs Mediengruppe News Corp, James Murdoch.

"Zum Geschäft der News of the World gehört, andere zur Rechenschaft zu ziehen. Aber als es um sie selbst ging, ist sie gescheitert", erklärte der Sohn von Rupert Murdoch. "Missetäter haben eine gute Redaktion schlecht gemacht." Die Einnahmen aus der letzten Ausgabe am Sonntag sollen demnach wohltätigen Zwecken zu Gute kommen.

Affäre beschäftigt Briten seit Jahren
Die Affäre beschäftigt Großbritannien seit Jahren. Im Jahr 2007 waren bereits ein Journalist und ein Privatermittler der Zeitung dafür verurteilt worden, die Telefone von Prominenten und Mitgliedern des Königshauses angezapft zu haben. Die neuen Vorwürfe in den vergangenen Tagen hatten einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Zahlreiche große Anzeigenkunden wie die Supermarktkette Sainsbury's, das Mobilfunkunternehmen O2 oder der Autokonzern Ford kündigten der "News of the World" die Zusammenarbeit auf. Auch andere Publikationen des Murdoch-Imperiums sind betroffen.

BSkyB-Übernahme gefährdet

Der Skandal gefährdet auch die Übernahme des Satellitensenders BSkyB durch Murdochs Medienimperium. Wie die "Financial Times" berichtete, könnte die Regierung in London eine Entscheidung darüber auf September verschieben. Kritiker hatten zuvor vor den Gefahren einer Übernahme gewarnt, mit der Murdoch seine Medienmacht weiter verstärken würde. Sein Konzern kontrolliert bereits mehr als ein Drittel der britischen Informationspresse.

Premier Cameron unter Kritik
Wegen seiner engen Beziehungen zu den Murdoch-Medien gerät Premierminister David Cameron zunehmend in die Kritik. Oppositionsführer David Miliband forderte Cameron am Donnerstag auf, sich von der Medienmanagerin Rebekah Brooks, die zur Zeit der Abhöraktionen Chefredakteurin bei "News of the World" war, und anderen Verantwortlichen des Konzerns zu distanzieren. Rupert Murdoch hatte die Vorwürfe als "bedauerlich" bezeichnet und beteuert, sein Unternehmen werde bei den Ermittlungen mit der Polizei zusammenarbeiten.

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"The End of the World" - Aus für britisches Boulevardblatt

Ist das Ende der "News of the World" nur der Beginn einer neuen Boulevardzeitung mit anderem Namen aber gleichem Inhalt? So oder so ähnlich jedenfalls sieht das der britische Justizminister Kenneth Clarke. Er kann in dem wohl beispiellosen Schritt von Rupert Murdochs Sohn James, die traditionsreiche britische Sonntagszeitung "News of the World" einzustellen, keinesfalls Reue für den Abhörskandal erkennen. Das Ganze sei nur der Versuch eines Imagewandels, hieß es auch aus Expertenkreisen.

Statt der 168 Jahre alten Zeitung werde künftig sonntags eben ein anderes Blatt erscheinen, zum Beispiel eine Sonntagsausgabe der "Sun", dem Schwesterblatt der "News of the World." Die könnte unter dem Namen "The Sun on Sunday" firmieren.

Offizielle Antworten auf die Spekulationen gab es nicht. Murdoch selbst stellte die Entscheidung als Konsequenz der dramatischen Vorwürfe dar, die vergangene Woche ans Tageslicht gekommen waren. Anders als seit Jahren gedacht, sollen Journalisten der "News of the World" nicht nur die Handys von Prominenten und Politikern angezapft haben, sondern noch viel weiter gegangen sein. Angeblich wählten sie sich auch auf die Telefone von Mord- und Terroropfern und deren Angehörigen ein. Selbst Soldaten-Witwen waren demnach nicht sicher.

4000 Menschen bespitzelt?
Bis zu 4.000 Menschen könnten belauscht worden sein, hieß es von der Polizei. Hinzu kommt, dass auch Polizisten erfolgreich bestochen worden sein sollen. "Wenn die neuen Vorwürfe stimmen, dann war das unmenschlich und hat in unserem Unternehmen keinen Platz", verkündete James Murdoch am Donnerstag. Er gestand zahlreiche Fehler ein: Falsche Aussagen vor dem Parlament zum Beispiel oder das Versagen, auf den Grund des Abhör-Sumpfes zu stoßen. Zerstörerische Aussagen für ein Presseorgan.

Doch James Murdoch und sein Vater Rupert haben durchaus noch andere Gründe, ein solches Zeichen zu setzen - und damit bei der britischen Regierung wieder in Gnade zu fallen. Die "News of the World" gehört wie auch "The Times" und "The Sun" zu News International, dem britischen Arm von Rupert Murdochs mächtiger News Corporation. Und die kämpft derzeit um die milliardenschwere Komplettübernahme des Fernsehkonzerns BSkyB auf der Insel.

200 Mitarbeiter bangen um ihre Jobs
Die rund 200 Mitarbeiter, die vom Ende der Zeitung betroffen sind, reagierten gschockt. Die meisten von ihnen seien zu der Zeit, in der die Handys abgehört worden sein sollen, noch gar nicht bei der Zeitung gewesen, sagte Mitarbeiter Daniel Wooding. Jetzt müssten sie für etwas büßen, an dem sie gar nicht beteiligt gewesen seien. Zudem kursierten Gerüchte, News International habe ohnehin vorgehabt, "News of the World" einzustellen und stattdessen die von Montag bis Samstag erscheinende "Sun" auf den Sonntag auszuweiten. Das sei lukrativer.

Journalisten bei den großen britischen Blättern hoffen nun, dass das Ganze nicht einen Dominoeffekt auslöst. Immer wieder waren nämlich in den letzten Jahren Stimmen laut geworden, das Abhören von Handys sei eine gängige Praxis vor allem in den Redaktionen der bekanntlich nicht gerade zimperlichen britischen Boulevardblätter gewesen. Sollte sich das bewahrheiten, stellt sich die Frage, wer als nächstes fällt. Dann wäre "The End of the World", wie die britische Nachrichtenagentur PA textete, zwar nicht das Ende der Welt, aber vielleicht das Ende einer weiteren Zeitung.

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