Wie fehlerhaft ist der Weltklimabericht?

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Darf sich ein Gremium, dessen wichtigstes Gut die Glaubwürdigkeit ist, Fehler erlauben? Nach der Panne um eine falsche Prognose des Weltklimarats IPCC zum Abschmelzen der Himalaya-Gletscher ist darüber eine heftige Diskussion entbrannt. "Dieser Fehler hätte nicht passieren dürfen", sagt Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der an einem Teil des vierten IPCC-Weltklimaberichts mitgewirkt hat. "Wir haben ja mehrere Hundert Experten, die das geprüft haben, und das ist immer durch die Lappen gegangen."

In dem nun beanstandeten Absatz des vierten Weltklimaberichts finden sich gleich zwei Schnitzer: Viele Gletscher im Himalaya könnten bis 2035 verschwinden, heißt es da, die Gesamtfläche schrumpfe wahrscheinlich in den nächsten Jahren von 500.000 auf 100.000 Quadratkilometer - eine offensichtlich ungeprüft von der Umweltstiftung WWF übernommene Aussage.

Diese gehe vermutlich auf einen Zahlendreher zurück, schreiben Experten jetzt in einer Kurzanalyse im Fachjournal "Science": Ein russischer Forscher hatte bis 2350 ein Abtauen der Gletscher von 500.000 auf 100.000 Quadratkilometer prognostiziert. Diese Arbeit aus dem Jahr 1996 bezog sich allerdings auf die weltweiten Eisströme, nicht speziell auf den Himalaya, der nur rund 33.000 Quadratkilometer Gletscher besitze, wie es in der "Science"-Analyse heißt.

"Manchmal machen Wissenschaftler falsche Aussagen. Das dürfen sie. Das geht gar nicht anders", sagt der Hamburger Klimaforscher Hans von Storch. "Deshalb haben wir diesen sogenannten Review-Prozess, in dem andere Leute, die etwas davon verstehen, beurteilen, ob das plausibel ist, stimmig." Nicht alle, aber zumindest grobe Fehler sollten so immer gefunden werden. "Das hat nicht funktioniert in diesem Fall. Und das ist natürlich katastrophal, wenn man bedenkt, was die Aufgabe des IPCC ist - nämlich glaubwürdiges Wissen bereitzustellen."

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Bericht abgesehen von diesem einen Mangel fehlerfrei ist? "Die Wahrscheinlichkeit ist Null. Da sind natürlich mehr Fehler drin", sagt von Storch. Bei der Masse an Aussagen auf den mehr als 2.000 Seiten Bericht sei das auch kein Wunder. "Wenn nur 1 bis 2 % der Aussagen falsch sind, dann wäre das ja schon hervorragend. Einfach, weil es normale Menschen sind, die das machen." Edenhofer betont, der IPCC arbeite normalerweise sehr sorgfältig. Das zeige schon die Tatsache, dass in 20 Jahren nun erstmals ein grober Fehler aufgetaucht sei.

Material interessengeleiteter Organisationen tabu

Uneinig sind sich die Experten darüber, ob Quellen wie der WWF überhaupt Eingang in die Berichte des Klimarats finden sollten. Es sei legitim, Universitäts-Mitteilungen oder Konferenzberichte zu nutzen, meint von Storch. Material interessengeleiteter Organisationen wie dem WWF müsse aber tabu sein. Sonst könnten auch Berichte von Ölkonzernen ausgewertet werden. "Aber wenn das der Fall wäre, würde es einen Aufschrei geben." Edenhofer sieht das anders. "Das Problem ist nicht, dass solche Organisationen zitiert werden, sondern womit." Die Aufgabe der IPCC-Autoren sei es gewesen, die Angaben anhand der Originalstudie zu überprüfen. "Wir müssen die Standards da deutlich anheben."

Von Storch wirft der Führung des IPCC vor allem vor, viel zu spät reagiert zu haben. Hinweise auf den Fehler seien schon 2006 vom Innsbrucker Gletscherforscher Georg Kaser gekommen. Dem IPCC falle es offensichtlich schwer, mit Kritik umzugehen. Das hätten auch schon vorangegangene Diskussionen gezeigt. Es sei fatal, wenn den Aussagen der Berichte irgendwann gar nicht mehr geglaubt werde.

Edenhofer meint, der Klimarat habe "möglicherweise etwas zu wenig offensiv", aber letztendlich doch angemessen schnell und umfassend reagiert. "Man darf nicht vergessen: Der Fehler ist folgenlos. Er ist nicht in die Handlungsempfehlungen für die Politik gekommen, auch nicht für die indische Regierung, auch nicht in den Synthesebericht. Und es ändert sich nichts an der Grundaussage."

Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist ein von den Vereinten Nationen (UN) eingesetztes Gremium. Er erstellt etwa alle fünf bis sechs Jahre einen neuen Bericht zum Stand der Klimaforschung. Die falsche Prognose zum Abschmelzen des Himalaya-Gletschers stand 2007 im Teilbericht der Arbeitsgruppe zwei, die sich mit den Folgen von Klimaveränderungen für Natur und Gesellschaft beschäftigt.

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