Die börsenotierte Flughafen Wien AG setzt einen radikalen Schritt beim Desaster um die Terminalerweiterung "Skylink". Mit heute, 30. Juni, stoppt der Flughafenbetreiber den Bau komplett, kündigte der Vorstand in Wien an. Das sei die Voraussetzung, um aus allen Verträgen mit den am Bau beteiligten Firmen auszusteigen und bis Ende September die Konditionen mit den Unternehmen neu verhandeln; sollte es keine Einigung geben, werden die Aufträge neu ausgeschrieben. Der Beschluss dazu fiel gestern im Aufsichtsrat.
Ziel sei es, trotz der Bauunterbrechung bis Juli 2011 das Projekt abzuschließen und die Kosten deutlich unter die zuletzt prognostizierten 830 Mio. Euro zu drücken. Eigentlich ist der Bau des neuen Terminals bereits seit rund zwei Monaten de facto gestoppt. Der im Februar anstelle des überraschend abgelösten Vorstands Christian Domany eingesetzte Ernest Gabmann hatte Ende April eine "Bauunterbrechung" angeordnet, "überall dort, wo es keine abgestimmten Planungsunterlagen" gab. Seit einigen Wochen habe es "de facto keine ausführenden Arbeiten" mehr gegeben, bestätigte der ebenfalls neu eingesetzte Projektleiter Norbert Steiner.
Grund für die Neuverhandlung der Verträge mit den 47 Firmen sind laut Steiner vor allem die galoppierenden sogenannten Baugemeinkosten, die für die Aufrechterhaltung der Baustelle anfallen - egal ob gebaut wird oder nicht. Derzeit fallen allein dadurch 2 bis 2,5 Mio. Euro im Monat an. Ab Herbst, wenn der Skylink nach der ursprünglichen Planung eigentlich fertig sein sollte, drohen diese Kosten auf schlimmstenfalls 8 Mio. Euro pro Monat oder 100 Mio. Euro im Jahr hinaufzuschnellen, so Steiner.
Halbjähriger Baustopp
Dem gegenüber stünden Kosten für den vorzeitigen Ausstieg aus den Verträgen von maximal 15 Mio. Euro. Laut Gabmann haben die 47 Firmen und rund 60 Konsulenten und Planer einen Brief erhalten, in dem sie um eine Endabrechnung der bisherigen Leistungen gebeten werden. Der Flughafen werde gleichzeitig eventuelle Mängel prüfen lassen, um diese - für den Fall, dass man sich mit einem Unternehmen nicht einigen könne - gegenzurechnen. Im Jänner sollen dann die Bauarbeiten fortgesetzt werden und - trotz des halbjährigen Baustopps - ohne Verzögerung im Juli 2011 beendet werden.
Bisher wurden am Flughafen rund 290 Mio. Euro verbaut und etwa 120 Mio. Euro für Planer und Konsulenten ausgegeben, rechnete Steiner vor. Was das Großprojekt letztlich kosten dürfte, wollte der zuständige Vorstand Gabmann nicht beziffern. "Es wäre unseriös, vor 30. September Zahlen zu nennen", sagte Gabmann. Dann werde man mit plus/minus zehn Prozent wissen, was das Projekt koste.
Untersuchung zu möglichen Unregelmäßigkeiten
Ob es bei der Terminalerweiterung am Flughafen Wien Unregelmäßigkeiten gegeben hat bzw. wer die Verantwortung für die Kostenexplosion trägt, wird derzeit untersucht. Dem Vorstand sei "von den Projektverantwortlichen" bis Februar berichtet worden, dass die Kostenschätzung von 657 Mio. Euro halten werde, sagte Vorstandssprecher Herbert Kaufmann in Wien. Als deutlich geworden sei, dass das nicht zu halten sei, sei ein Wechsel im Vorstand vorgenommen worden. Der zuständige Finanzvorstand Christian Domany wurde durch den ehemaligen niederösterreichischen Landesrat Ernest Gabmann abgelöst. Eine Untersuchung wurde eingeleitet und das Projekt neu aufgestellt worden, wurde heute zur Vorgangsweise erläutert.
Konkret untersucht der Grazer Gesellschaftsrechtler Waldemar Jud, ob eine Organhaftung vorliegt. Revision und Anwälte prüfen parallel dazu das gesamte Projekt. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen im Laufe des Sommers vorliegen.
Laut Flughafen wären die Gesamtkosten des 150.000 m2 großen Zubaus mit 830 Mio. Euro auch nicht sehr viel höher als vergleichbare Projekte, wie etwa Terminal 2 am Flughafen München. Dort seien die Kosten bei 5.700 Euro pro Quadratmeter gelegen, verglichen mit 5.500 pro Quadratmeter am Flughafen Wien. Ursprünglich waren die Baukosten für "Skylink" mit rund 400 Mio. Euro veranschlagt worden.
Komplexität unterschätzt
Projektleiter Norbert Steiner räumt allerdings ein, dass er "so etwa noch nicht erlebt" habe. Offenbar sei die Komplexität der Planung vor allem bei der Haustechnik mit allen Kontroll- und Sicherheitseinrichtungen unterschätzt worden. Neben dem Desaster bei der Haustechnik hätten auch die vor Baubeginn 2005/06 besonders hohen Kosten für Baumaterialien zu den Kostensteigerungen beigetragen. Auf die rund 60 Planer und Konsulenten entfallen bisher etwa 24 Prozent der Kosten, verglichen mit im Schnitt 22 Prozent bei ähnlichen Infrastrukturprojekten.
Bisher sind Rohbau und Fassade sowie Teile der Haustechnik des Terminals und der neue 450 m lange Pier-Ost mit 17 Andockstationen fertig. Was fehlt, sind die gesamten Innenausbauarbeiten sowie Lüftung und Installationen. Für die Konservierung des Baus fallen derzeit ebenso Kosten an wie für die Absicherung. Von der Beendigung der Verträge ist auch die Raiffeisen Evolution betroffen, die erst im Sommer 2008 mit der Projektleitung beauftragt worden war. Hier sei man zu einer konsensualen Lösung gelangt, wonach diese noch bis Ende Juli zur Verfügung stehe.
Flughafen-Aufsichtsratsvorsitzender Johannes Coreth bekräftigte in einer Aussendung, dass der Vorstand "das volle Vertrauen des Aufsichtsrats" genieße. Der Aufsichtsrat erwarte sich, "dass das Projekt in ruhigere Bahnen komme". Mit den vom Vorstand vorgeschlagenen Maßnahmen könnten bei Einhaltung der Terminpläne erhebliche Einsparungen bei den Prognosekosten erreicht werden, hieß es darin weiter.
Aus der Stadt Wien, neben dem Land Niederösterreich einer der beiden Kernaktionäre der Flughafen Wien AG, hieß es auf APA-Anfrage, man kommentiere operative Entscheidungen des Vorstandes nicht. Es gebe klare Zuständigkeiten im Vorstand für das Projekt und habe diese auch immer gegeben, sagte ein Sprecher von Finanzstadträtin Renate Brauner. Grundsätzlich sei der Flughafen ein gesundes Unternehmen von zentraler Bedeutung für die Ost-Region.