Wifo relativiert

"Kaliforniens Schulden viel höher als in Athen"

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Europa hat in den Augen von Wifo-Chef Karl Aiginger ein Wachstumsproblem und nicht nur ein Budgetproblem. Defizite in Europa "wiegen schwerer, weil Europa noch immer als Summe von Einzelstaaten betrachtet wird und nicht als Einheit", so der Wirtschaftsforscher. Europas Wirtschaftsleistung sei insgesamt höher als die der USA. Und die laufenden Budgetprobleme Kaliforniens seien größer als jene von Griechenland, Portugal und Spanien.

Aiginger hält für die Anerkennung der EU als Wirtschaftsblock durch mehr Koordinierung und effektive Sanktionen für erforderlich. Funktionieren werde dies aber nur dann, wenn die Wirtschaft dynamischer sei. Dann könnten die Schwächeren aufholen.

Kritisch sei es, wenn Europa nur auf die Defizite blicke. Dann werde es "noch weniger wachsen" und seine Defizite nicht in den Griff bekommen. Auch die Arbeitslosigkeit werde weiter steigen.

Wenn die EU-Kommission jetzt verlange, die Budgetdefizite noch schneller abzubauen, dürfe das darunterliegende Problem nicht übersehen werden: Die Wachstumsschwäche Europas. Europa brauche eine "wachstums- und wettbewerbsorientierte Konsolidierung." Wachstumstreiber müssten von Kürzungen nicht nur ausgenommen werden, es seien auch mehr Investitionen dazu notwendig.

Beschneidung des Strukturfonds "der falsche Weg"

Als "genau falsch" beurteilt er deshalb die Kürzung der Mittel der Strukturfonds für Defizit-Länder, wie das die EU-Kommission gerade diskutiere. Eher sollte die nationale Kofinanzierung vorübergehend für besonders produktive Investitionen reduziert werden, damit diese schneller durchgeführt werden könnten.

Dann könne Europa auch in der Konsolidierungsphase vom Wachstum der Weltwirtschaft profitieren. Wenn der Euro in dieser Phase schwächer sei, ist das für Aiginger "kein Problem, sondern Teil der Lösung."

Schwächerer Euro ist ein Teil der Lösung unseres Problems

Den 750 Mrd. Euro schweren Schutzschirm zur Stabilisierung des Euro begrüßt Aiginger. Das Paket kam "spät", aber entschlossen und solidarisch.

Den Finanzmärkten und auch der europäischen Politik wirft der Wirtschaftsforscher vor, das Schuldenproblem unkritisch als das größte und vordringlichste Problem Europas zu sehen. Es solle nicht unterschätzt werden. Aber das aktuelle Defizit sei geringer als in den USA, der Schuldenstand relativ zur Wirtschaftsleistung etwa gleich. Und anders als die USA habe Europa kein Außenhandelsdefizit.

Als zentrales Problem Europas sieht Aiginger, dass Europas Wirtschaft deutlich schwächer wachse als die Weltwirtschaft und die Wirtschaft der USA. Vor der Krise (2000 bis 2007), während der Krise (2008/2009) und in der seit Mitte vorigen Jahres zögernd erfolgten Erholungsphase habe sich Europa schwächer entwickelt als die USA.

Dies habe "mittelgroße" Defizite zu untragbar großen Budgetdefiziten gemacht. Spanien, Irland und Deutschland hatten vor der Krise Budgetüberschüsse.

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