WIIW: Wachstumstreiber in Osteuropa verblassen

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Die Region Mittel- und Osteuropa (CEE) ist durch die Wirtschaftskrise schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Die meist kleinen Staaten kämpfen mit den Folgen einer fallenden Exportnachfrage und erschwerter externer Finanzierung. Vor allem das Baltikum, die Slowakei, Slowenien und Rumänien stecken in einer tiefen Rezession. Lediglich Polen kann 2009 mit einem leichten Wirtschaftswachstum rechnen, prophezeit das Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).

"Die wichtigste Botschaft ist, dass die meisten Länder der Region wesentlich kleinere Leistungsbilanzdefizite aufweisen", unterstreicht WIIW-Experte Sandor Richter. So weist Tschechien im ersten Quartal 2009 bereits einen leichten Überschuss auf. Für das heurige Gesamtjahr wird eine Halbierung der Leistungsbilanzdefizite im Vergleich zu 2008 in Ungarn und Slowenien erwartet. In Rumänien rechnen die Wirtschaftsforscher mit einem Rückgang von minus 12,2 Prozent im Vorjahr auf minus 3,1 Prozent heuer.

Polen konnte aufgrund seiner Größe mittels fiskalpolitischer Maßnahmen die Inlandsnachfrage ankurbeln. Zudem sei das Land auch nicht so exportabhängig. Auch Bulgarien, Slowenien und Tschechien betreiben eine antizyklische Fiskalpolitik, die nicht nur ein Zunahme des Haushaltsdefizits beinhaltet, sondern darüber hinaus auch die Inlandsnachfrage stimuliert.

Im Gegensatz dazu verfolgen die baltischen Staaten, Rumänien und Ungarn eine prozyklische Haushaltspolitik, was eine starke Kürzung der öffentlichen Ausgaben bedeutet. Diese Länder seien besonders stark von ausländischer Finanzierung abhängig und müssten nun die Glaubwürdigkeit bei den ausländischen Investoren wieder herstellen, so Richter. Außerdem sei die Haushaltsdisziplin ein wichtiger Baustein der gewährten Geldspritzen seitens des IWF und der EU.

Kapitalzufluss in den Osten stockt

Bis Ende 2009 wird die gesamte CEE-Region unter einem erschwerten Zugang zu ausländischem Kapital leiden. Zudem werden die Kreditkosten bzw. die schwache in- und ausländische Nachfrage die Volkswirtschaften der Region belasten, so die WIIW-Prognose. In der zweiten Jahreshälfte 2009 werde sich der BIP-Rückgang abflachen. Die Talsohle sei bereits erreicht, ob es aber einen weiteren Schock geben werde, sei nur schwer abschätzbar.

Eine deutliche Erholung erwartet das WIIW erst 2011. So soll etwa das BIP der zehn neuen Mitgliedstaaten 2009 um 3,3 Prozent schrumpfen, 2008 betrug das Konjunkturwachstum noch 4,3 Prozent. 2010 wird mit einer "negativen Stagnation" von minus 0,1 Prozent gerechnet. 2011 soll wiederum ein leichtes Wachstum von 2,5 Prozent geben.

Am Arbeitsmarkt werde die Konjunkturerholung erst verzögert spürbar. Während 2008 in den neuen EU-Staaten mit 6,5 Prozent ein vorläufiger Tiefpunkt erreicht wurde, wird heuer mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit auf 9,4 Prozent gerechnet. Trotz der Stagnation rechnet das WIIW 2010 mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 10 Prozent. Die Lage am Arbeitsmarkt soll sich erst ab 2011 zu entspannen beginnen.

Baltikum "um zehn Jahre zurückgeworfen"

In der CEE-Region müssen sich vor allem die baltischen Staaten sich auf eine lange Durststrecke einstellen. In den kommenden drei Jahren werden die BIPs von Lettland, Litauen und Estland um rund 30 Prozent zurückgehen. "Sie werden im Aufholprozess um zehn Jahre zurückgeworfen", erklärte Sebastian Leitner, Baltikum-Experte des WIIW. Vor der Finanz- und Wirtschaftskrise platzten im Baltikum die Immobilien- und Kreditblase. Der Abschwung der Wirtschaftsleistung hatte bereits vor dem September 2008 eingesetzt. In Folge sei auch die Nachfrage in den einzelnen Staaten dramatisch eingebrochen.

Weil die baltischen Staaten einen raschen Beitritt zur Eurozone anstreben und deshalb ihr starres Wechselkursregime nicht aufgeben wollen, werde von allen drei Staaten eine prozyklische Fiskalpolitik verfolgt. So werde Lettland den "öffentliche Gehaltstopf" um 30 Prozent kürzen. 20 Prozent sollen durch nominelle Lohnkürzungen eingespart werden. Zudem will Lettland die Hälfte der öffentlichen Spitäler zusperren und ein Drittel der Lehrer abbauen. Die meisten Maßnahmen würden erst in der zweiten Jahreshälfte wirksam.

Ursprünglich war die Euro-Einführung in Estland für 2011, in Litauen für 2012 und in Lettland für 2013 angepeilt. Diesen Zeitplan werde man kaum einhalten können. Probleme dürften die baltischen Staaten nicht nur mit dem Defizitkriterium für die Euro-Einführung bekommen, sondern auch mit den langfristigen Zinssätzen für staatliche Wertpapiere. Derzeit ist der Richtwert für diese Prozentsätze bei rund 7 Prozent, in Litauen beträgt er 14 Prozent und in Lettland 11 Prozent.

Früher konnten die baltischen Staaten ausländische Direktinvestitionen (FDI) vor allem für den Dienstleistungssektor anlocken - insbesondere die Banken und den Handel. Im Gegensatz zu den anderen EU-Mitgliedstaaten wie etwa der Slowakei oder Tschechien wurde es verabsäumt, den Industriesektor wieder aufzubauen. So betrage etwa in Lettland der Industrieanteil am BIP lediglich rund 10 Prozent. Etwas anders sehe die Situation in Litauen aus, wo die einzige Erdöl-Raffinerie der Region stehe.

Südosteuropa leidet unter Verteuerung der Finanzierung

Die Industrie in Südosteuropa hat die Talsohle heuer im Jänner und Februar erreicht. "Wie stark es wieder aufwärts gehen wird, weiß man derzeit noch nicht", sagte Josef Pöschl, Südosteuropa-Experte des WIIW. Seit dem Ausbruch der Krise im September 2008 sei Südosteuropa, das traditionell hohe Leistungsbilanzdefizite habe, noch zusätzlich mit dem Problem konfrontiert, dass die Finanzierung schwieriger und teurer geworden sei.

Sollte die Krise länger anhalten, wird es auch in Südosteuropa zu einer massiven Insolvenzwelle kommen, was wiederum Probleme im Finanzsektor verursachen würde. Pöschl betonte aber, dass die Kreditausfälle ein internationales Problem seien, in den USA ebenso wie in Russland. Überdurchschnittliche Kreditausfälle in Südosteuropa seien nicht zu erwarten. Trotz positiver Tendenz an den Börsen in den vergangenen Wochen könne aber "keine Entwarnung" für die Region gegeben werden, so Pöschl.

Der wirtschaftliche Absturz erfolgte im ersten Quartal 2009, nachdem das letzte Quartal 2008 noch positiv ausgefallen war. Die Türkei, die bereits im letzten Quartal 2008 einen BIP-Rückgang im Jahresvergleich von 6,2 Prozent aufwies, sei hingegen ein eigenes Kapitel. Zwar brach das BIP im ersten Quartal 2009 noch einmal deutlich ein, der Rückgang betrug im Jahresvergleich minus 13,8 Prozent; dennoch könne die Türkei aufgrund ihrer Größe und der Märkte im Nahen Osten die Krise besser überstehen als die Balkanstaaten.

Kroatien in schwieriger Situation

In einer besonders schwierigen Situation befinde sich Kroatien, das im ersten Quartal einen BIP-Rückgang von 6,7 Prozent erlitten hat, erklärte WIIW-Expertin Hermine Vidovic. Der Adriastaat versuche sich durch die Krise ohne Hilfe des IWF "durchzuwurschteln". Durch den Rücktritt von Premier Ivo Sanader habe sich auch die politische Lage zugespitzt. Eine der ersten Aufgaben der neuen Regierungschefin und Parteikollegin von Sanader, Jadranka Kosor, wird die überarbeitung des Staatshaushaltes sein.

Notenbank-Präsident Zeljko Rohatinski tritt für Kürzungen im Budget ein, um eine IWF-Hilfe nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Mit einer IWF-Hilfe wäre nach Meinung des WIIW-Experten Vladimir Gligorov auch eine Abwertung der kroatischen Kuna verbunden. Dies will die Notenbank aber verhindern. Gligorov hält allerdings Kürzungen bei den Haushaltsausgaben aufgrund der starken Gewerkschaften im öffentlich Dienst für kaum durchsetzbar. Die Situation werde sich spätestens im Herbst, nach der Tourismussaison klären, so der Experte.

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