Derzeit beraten Regierung und Länder über die Pläne zum Quarantäne-Aus +++ Rote Bundesländer stellen sich gegen den Regierungsplan.
Regierung und Landeshauptleute beraten am Nachmittag über ein Ende der Quarantäne für Coronainfizierte. Die SPÖ-regierten Länder Wien, Kärnten und das Burgenland zeigten sich im Vorfeld skeptisch und kritisierten, dass sie zum wiederholten Mal von der schwarz-grünen Regierung nicht informiert wurden und aus den Medien vom geplanten Ende der Quarantäne erfahren haben. Laut Gesundheitsministerium ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Betroffen wären über 100.000 Menschen.
Wer mit dem Coronavirus infiziert ist, muss derzeit zumindest fünf Tage in Isolation. Das betrifft aktuell rund 52.000 Menschen, die in den vergangenen fünf Tagen einen positiven Test erhalten haben. Danach gilt für weitere fünf Tage eine "Verkehrsbeschränkung": wer symptomfrei ist, darf mit FFP2-Maske wieder unter Leute gehen oder sich gänzlich "freitesten". In diese Frist fallen aktuell rund 57.000 Menschen.
Verordnungsentwurf sieht Verkehrsbeschränkung vor
Bei dem Gipfel werde es um die "verschiedenen Möglichkeiten zur Neuregelung der Absonderung Infizierter" gehen, hieß es aus dem Gesundheitsministerium zuletzt. Auf ÖVP-Seite wird Kanzler Karl Nehammer teilnehmen. Eine Pressekonferenz wird es nach dem Gespräch nicht geben. Vor einigen Tagen war ein Verordnungsentwurf bekannt geworden, wonach für Coronainfizierte künftig nur noch Verkehrsbeschränkungen gelten sollen. Demnach könnte man sich bei einer Infektion mit Maske fast überall frei bewegen. Betretungsverbote gäbe es nur an bestimmten Orten (Spitäler, Pflege-und Behinderteneinrichtungen, Kindergärten, Volksschulen und Horte), allerdings nicht für dort Beschäftigte.
Rote Länder stellen sich quer
In den SPÖ-regierten Bundesländern Wien, Kärnten und dem Burgenland hatten die Überlegungen zur Abschaffung der Quarantäne zuletzt für Verärgerung gesorgt. Man habe davon aus den Medien erfahren, kritisierten etwa Kärntens und Burgenlands Landeshauptleute Peter Kaiser und Hans-Peter Doskozil. Offenbar seien bisher nur ÖVP-geführte Länder eingebunden. Das sei ein schweres Foul, sagte Doskozil. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hatte zuletzt von einer Selbstaufgabe des Gesundheitsministeriums gesprochen, er will jedenfalls an der Quarantäne festhalten. Und auch Bürgermeister Ludwig äußerte sich im Vorfeld in einem Pressestatement gegenüber oe24 kritisch: "Die Bekämpfung der Pandemie ist Sache der Bundesregierung. Mit mir gab es keine Gespräche bezüglich dieses Verordnungsentwurfs", so Ludwig. Und weiter: "In Stadt Wien sind wir mit Massnahmen immer konsequenter geblieben. Wenn man den Empfehlungen der World Health Organization (WHO) folgt, sollte die Quarantäne angesichts der Sommerwelle aufrecht erhalten werden."
Andere Töne kommen aus ÖVP-geführten Ländern: Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) sagte in einer der APA übermittelten Stellungnahme: "Klar ist, wer krank ist, soll zuhause bleiben. Ich würde es aber in der aktuellen Situation, in der es hohe Infektionszahlen und verhältnismäßig niedrige Belagszahlen in den Krankenhäusern gibt, für richtig halten, die Quarantänepflicht auszusetzen." Wenn jetzt Schutzmaßnahmen zurückgefahren würden, müsse aber jedenfalls sichergestellt sein, dass diese rasch wieder hochgefahren werden könnten, wenn sich zeigen sollte, dass der Druck auf das Gesundheitssystem wieder steige, so Drexler.
Auch in Salzburg rechnen Landeshauptmann Wilfried Haslauer und Gesundheitslandesrat Christian Stöckl (beide ÖVP) fest mit neuen Quarantänebestimmungen. "Die Maßnahmen müssen dabei aber virologisch-medizinisch begründet sein, auch wenn eine Neuregelung bei symptomfreien Verläufen aus volkswirtschaftlicher Sicht natürlich sinnvoll wäre", sagte ein Sprecher Haslauers am Montag zur APA. Offen sei dabei, ab wann die neuen Regeln in Kraft treten könnten. Gesundheitsreferent Stöckl ging am Montag davon aus, dass Infizierte, die nicht erkrankt sind, mit Maske weiterhin arbeiten können. "Wir müssen allmählich lernen, mit der Pandemie zu leben. Sollte eine neue Variante kommen, die wieder zu schwereren Verläufen führt, müssen wir ohnehin wieder die Handbremse ziehen", sagte er am Vormittag zu den "Salzburger Nachrichten."
Derzeit habe man es mit "milden Varianten zu tun, deren Auswirkungen unser Gesundheitssystem aktuell nicht überlasten", meinte Tirols Gesundheitslandesrätin Annette Leja (ÖVP). Daher sei eine "Diskussion über Lockerung bzw. Aufhebung der Quarantänebestimmungen legitim", sagte sie in einer Stellungnahme gegenüber der APA. Dennoch habe der "Schutz von vulnerablen Personen oberste Priorität", meinte sie gleichzeitig. Sollte es zu einer Quarantäne-Lockerung kommen, werde "die Eigenverantwortung von jedem und jeder Einzelnen wichtiger denn je".
Rechtliche Grundlagen
Ob die SPÖ-geführten Länder im Alleingang an den Quarantäneregeln festhalten könnten, wenn der Bund sie abschaffen sollte, ist unterdessen nicht ganz klar. Der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger sieht hier ein "Beispiel einer etwas unklaren Legistik" und hält Ärger "auf jeden Fall" für vorprogrammiert. Grund dafür sind zwei einander widersprechende Paragrafen des Epidemiegesetzes. In Paragraf 43a werde festgehalten, dass eine Verordnung grundsätzlich vom Gesundheitsminister zu erlassen sei, wenn dieser das jedoch nicht mache, könnten es auch die Bundesländer tun. Der erst kürzlich geschaffene Paragraf 7b sehe jedoch vor, dass ausschließlich der Gesundheitsminister Verkehrsbeschränkungen festlegen könne. Bußjäger meinte jedoch im Ö1-"Mittagsjournal", dass es nicht in der Intention des Gesetzgebers gelegen sei, dass auch die Landeshauptleute eine solche Regelung treffen können, als der den Paragrafen 7b geschaffen habe. Deshalb könne aus seiner Sicht ausschließlich der Gesundheitsminister über Verkehrsbeschränkungen entscheiden.
Von Seiten der Experten gab es unterschiedliche Meinungen zum Thema Ende der Quarantäne. Der Virologe Norbert Nowotny und der Simulationsforscher Niki Popper warnten im ORF davor, vulnerable Gruppen einer zu großen Gefahr auszusetzen. Wenn Infizierte in Spitälern und Pflegeheimen arbeiten dürfen, sei das "zu gefährlich" für die Patienten und Pflegebedürftigen. Komplexitätsforscher Peter Klimek spricht sich dagegen für das Ende der Isolationspflicht aus. Länder wie Spanien und Großbritannien würden diesen Weg seit Monaten gehen und dort habe es die Spitäler auch nicht zerrissen. "Ich finde, dass momentan dieser Schritt in Österreich möglich ist, ohne das Gesundheitssystem unmittelbar zu gefährden", sagte Klimek in der "Presse".