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Coronavirus

Wann der Lockdown kommt

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Experten und Politiker nennen den Lockdown wieder als realistische Konsequenz - Virologe Nowotny: ''Lockdown schon in 1 Monat möglich'' - Kanzler Kurz im exklusiven oe24.TV-Interview zu Corona & Lockdown.

Wien. Die Situation ist bedrohlich. Gestern wurden 2.456 neue Fälle gemeldet. Obwohl es ein Feiertag war – somit weniger getestet wurde –, ist diese Zahl mehr als doppelt so hoch wie am Montag der Vorwoche. Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte im exklusiven oe24.TV-Interview am Nationalfeiertag wann es zu einem Lockdown kommt (s. unten).

„Je höher die Ansteckungszahlen sind, desto restriktivere Maßnahmen braucht es“, sagte VP-Bundeskanzler Sebastian Kurz nach dem Ministerrat. Oberstes Ziel ist, die Überlastung der Intensivmedizin zu verhindern. „Die Ultima-Maßnahme ist ein zweiter Lockdown“, drohte Kurz.
 
Noch vor wenigen Tagen hätten nur die Wenigsten an ein Comeback dieser Maßnahme geglaubt. Jetzt hängt der Begriff wie ein Damoklesschwert über den täglichen Statistiken.
Angespannt. Die Lage auf den intensivmedizinischen Abteilungen wird immer angespannter. Die Experten blicken mit Sorge auf die Zahlen. Derzeit werden 188 schwer kranke Patienten behandelt. Vor zwei Wochen waren es 97. Das bedeutet einen Anstieg von 94 %.
 
Oberflächlich betrachtet gibt es genug Intensivbetten, 651 sind laut AGES derzeit frei. Die Verteilung durch das Land ist aber sehr unterschiedlich.
  • In Tirol sind laut Experten nur acht Betten frei.
  • Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) warnt, dass die Spitäler in einer Woche überlastet sein könnten.
  • In Mödling gebe es laut Meldungen zu wenig Personal für die Covid-Betreuung.
  • Auch in Wien sind im Kaiser-Franz-Josef-Spital die Covid-Intensivbetten voll.
 
Befürchtung. Virologe Norbert Nowotny befürchtet im schlimmsten Fall, dass ein nötiger Lockdown in einem Monat kommt. Kanzler Kurz im oe24.TV-Interview: „Wenn das Wachstum weiter so rasant ist, stoßen wir an die Grenzen der Belastbarkeit der Intensivmedizin. Das müssen wir verhindern.“
 
Geheimgipfel im Kanzleramt. Am Montagnachmittag gab es laut ÖSTERREICH-Informationen eine Geheimsitzung im Kanzleramt über neue Maßnahmen. Bei 6.000 Neuinfektionen am Tag sei ein Lockdown alternativlos.
 
Kommt der Lockdown schon Ende November? Mögliches Szenario: ein „Lockdown light“ mit Ausgangsbeschränkungen, Veranstaltungsverbot und einer Schließung der Gastronomie. Geschäfte würden aber weiter offen bleiben. Wenn die Zahlen weiter so steigen, könnte die Lockdown-Grenze von 6.000 Neuinfektionen pro Tag schon Ende November, spätestens Anfang Dezember erreicht werden.
 

Wann der Lockdown kommt

Virologe Norbert Nowotny über einen möglichen baldigen Lockdown. 
 
Virologe Norbert Nowotny im Interview bei FELLNER!Live
© oe24
 
ÖSTERREICH: Wie realistisch ist es, dass ein Lockdown kommt?
 
Nowotny: Noch haben wir Kapazitäten. Aber ich denke, wenn die Zahlen weiter so stark steigen - davon müssen wir leider ausgehen -, dass wir in einem Monat möglicherweise an diesem Punkt angekommen sind. 
 
ÖSTERREICH: Was sollen wir tun?
 
Nowotny: Auch wenn wir neue Maßnahmen eingeführt haben, ich denke, wir brauchen zusätzliche. Dringend trete ich für mehr Homeoffice ein. Das bedeutet immerhin, dass das Virus in den Familien bleibt und nicht in die Arbeit und in die öffentlichen Verkehrsmittel gebracht wird. Dann bräuchten wir eine bundesweite frühere Sperrstunde von 23 oder 22 Uhr. Zusätzlich sollten jene Bezirke, in denen die Ampel auf Rot steht, bezirksspezifische strengere Maßnahmen treffen. So könnte man wenigstens den Lockdown länger abwenden.
 

Kanzler Kurz: "Stoßen an Grenzen der Belastbarkeit"

Wien. oe24-Chefredakteur Niki Fellner sprach am Nationalfeiertag mit Kanzler Sebastian Kurz über die aktuelle Corona-Situation. Der Bundeskanzler lüftete dabei exklusiv auf oe24.TV erstmals einige Details zu einem möglichen Lockdown. Das gesamte oe24.TV-Interview finden Sie oben im Artikel zum nachschauen.
 
oe24.TV: Wie haben Sie den Nationalfeiertag im Schatten von Corona erlebt?
 
Sebastian Kurz: Die Angelobung der Rekruten ist normalerweise ein Spektakel mit Tausenden Zusehern. Heuer war das auf das Notwendigste reduziert, das ist leider im Moment unumgänglich. Insofern freue ich mich darauf, wenn der Nationalfeiertag nächstes Jahr wieder ein großes Fest ist.
 
oe24.TV: Sie haben in Ihrer Rede ungewohnt emotionale Worte gefunden. Sie haben auch gesagt es geht Ihnen auch als Regierungschef sehr nahe das Ganze. Wie schwierig ist denn die Situation auch für Sie persönlich?
 
Kurz: Natürlich ist das furchtbar. Sie müssen sich vorstellen, man hört tagtäglich unzählige Geschichten von Personen, die in einer wahnsinnig schwierigen Situation sind. Ich habe Kontakt mit Unternehmern, die mir schildern, wie ihnen von heute auf morgen die Geschäftsgrundlage weggebrochen ist. Ich habe Kontakt mit Tourismusbetrieben die sagen, sie überlegen, ob sie aufsperren. Man weiß aber, dort arbeitet das halbe Dorf. Das heißt, wenn das Hotel im Winter nicht aufsperrt, dann heißt das nicht nur für den Betrieb etwas, sondern der eine arbeitet dort als Koch, der nächste als Kellner, der nächste als Skilehrer - für die alle bedeutet das Arbeitslosigkeit. Das ist für uns furchtbar, weil es eben nicht diesen einen Knopf gibt, auf den man drückt und dann ist die Situation gelöst. Wir müssen mit dem Virus leider noch viele Monate leben und das richtet einfach sehr viel Schaden an.
 

"Ich teile die Einschätzung der Virologen: Die Lage ist extrem ernst"

 
oe24.TV: Einige Bundesländer haben erklärt, das Contact Tracing stoße an Grenzen. Ist die Situation außer Kontrolle?
 
Kurz: Ich bin der Meinung, dass die Zahlen deutlich niedriger sein müssten, damit ein professionelles Contact Tracing möglich ist. Ich gehe davon aus, dass es in vielen Bundesländern nicht mehr möglich ist, der Masse der Menschen zu sagen, wo sie sich angesteckt haben. Ich teile die Einschätzung jener Virologen, die sagen: Die Lage ist extrem ernst.
 
oe24.TV: Sie haben in einem Interview mit der Tageszeitung ÖSTERREICH am Wochenende 6.000 Neuinfektionen als nächste Grenze, die uns bevorsteht, genannt. Wann rechnen Sie damit, dass uns dies bevorsteht?
 
Kurz: Es kann keiner eine genaue Prognose abgeben. Ich hab vor einiger Zeit gesagt, dass wir uns in einer Situation befinden, in der sich die Ansteckungszahlen innerhalb von drei Wochen verdoppeln. Wäre dieser Trend so geblieben, würden wir diese 6.000er-Marke im Dezember erreichen. Mittlerweile ist das Wachstum ein noch schnelleres geworden und wir werden in den nächsten Tagen sehen, ob sich diese Dramatik immer weiter zuspitzt oder nicht. Wenn die Zahlen weiter wachsen, dann wird das immer problematischer, weil dann jedes Gesundheitssystem der Welt an seine Grenzen stößt.
 
oe24.TV: Sie haben vom Lockdown als "Ultima"-Maßnahme gesprochen, also die allerletzte Maßnahme, die getroffen werden soll. Wären diese 6.000 Neuinfektionen ein Wert, wo dann der Lockdown sicher kommt?
 
Kurz: Ich möchte darüber jetzt nicht spekulieren, aber klar ist: Wir werden nicht zulassen, dass unsere Intensivmedizin überlastet wird. Wir werden nicht zulassen, dass man in Österreich, wenn man in Not ist, nicht mehr in einem Spital behandelt werden kann. Das darf nicht geschehen. Das bedeutet, dass wir sehr genau beobachten müssen wie die Zahlen steigen. Welche Personen infizieren sich? Da kommt es darauf an, ob es sich dabei um eher junge oder ältere Personen handelt. Je höher der Altersdurchschnitt bei den Infizierten ist, desto schlechter, desto mehr medizinische Betreuung braucht es. (...) Für die Masse der Menschen ist die Ansteckung relativ unproblematisch - wie eine Verkühlung, wie eine Grippe. Aber ein gewisser Prozentsatz hat einen schweren Verlauf und diese Menschen müssen wir schützen. Insofern muss man auf mehrere Faktoren achten, um herauszufinden, wie lange unsere Intensivmedizin dieser Herausforderung standhalten kann. 
 

"Stoßen an Grenzen der Belastbarkeit"

oe24.TV: Wenn man sich die Entwicklung der Infektionszahlen ansieht, muss man da nicht so ehrlich sein und sagen: Wenn es so weitergeht, ist ein Lockdown unumgänglich.
 
Kurz: So ehrlich bin ich ja. Wenn das Wachstum weiter so rasant ist, stoßen wir an die Grenzen der Belastbarkeit der Intensivmedizin. Das müssen wir verhindern (...) Das Ziel ist es durch diese Pandemie zu kommen mit dem Motto so viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie notwendig. Das versuchen wir. Aber wenn die Zahlen weiter steigen, dann bleibt allen Ländern dieser Welt keine andere Möglichkeit, als die Notbremse zu ziehen. 
 
oe24.TV: Brauchen wir weitere Maßnahmen Ihrer Meinung nach? Muss nachgeschärft werden?
 
Kurz: Wenn die Zahlen weiter steigen stehen wir an einem Punkt wo es eng wird mit den Intensiv-Kapazitäten. Dieser Punkt darf nicht erreich werden. Insofern hoffe ich, dass jeder Einzelne eine Beitrag leistet und es uns gelingt dieses rasante Wachstum, das wir derzeit haben, wieder abzuflachen. Wenn das nicht gelingt sind wir in einer Situation, in der heute bereits einige europäische Länder jetzt schon sind.
 
oe24.TV: Was könnte da noch kommen? Welche Maßnahmen bis auf einen Lockdown wären dann noch möglich?
 
Kurz: Sie haben schon recht. Wir sind mit unseren Maßnahmen schon in gewisser Weise fortgeschritten. Wenn Sie sich in Europa umschauen, gibt es bereits sehr viele Länder in denen Restaurants, Schulen, Geschäfte und vieles andere schon wieder zu sind. Da gibt es Ausgangssperren.  Wir wollen, dass die Menschen so viel Freiheit wie möglich haben, aber wir können keine Überlastung der Intensiv-Kapazitäten zulassen. Das bedeutet, dass die nächsten Tage zeigen werden, wie sich die Situation in Österreich weiterentwickelt. 
 
oe24.TV: Zwei Ihrer Minister würden die Quarantäne-Zeit für K1-Personen reduzieren. Wie sehen Sie das?
 
Kurz: Einige Experten in der EU haben sich dafür ausgesprochen. Das Gesundheitsministerium überprüft das jetzt gerade. Klar ist, je mehr Menschen in Kontakt mit Infizierten sind, umso mehr Menschen müssen in Quarantäne. Wenn die Zahl zu groß wird, lähmt das irgendwann das Land. Und daher ist es natürlich wünschenswert, wenn es die Möglichkeit gibt, die Quarantäne-Zeit zu reduzieren und ein Freitesten möglich zu machen.
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